Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
Rz. 296
Art. 75 Abs. 1 EuErbVO macht von dem verfolgten Ziel der Vereinheitlichung des Kollisionsrechts Ausnahmen: Internationale Übereinkommen bleiben unberührt, denen die Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der EuErbVO angehören und die Bereiche betreffen, die in der Verordnung geregelt sind. Hierzu gehören für Deutschland:
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deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen von 1929 |
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deutsch-türkisches Nachlassabkommen von 1929 |
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deutsch-sowjetischer Konsularvertrag von 1958. |
Rz. 297
Das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen von 1929 enthält in Art. 8 Abs. 3 eine besondere Kollisionsnorm für das Erbrecht. Danach wird auf Erbfälle in einem Staat das Recht des jeweiligen anderen Staates angewandt, dem der Erblasser im Todeszeitpunkt angehörte. Stirbt ein deutscher Staatsangehöriger also im Iran, richtet sich der Erbfall nach deutschem Erbrecht. Stirbt ein Iraner in Deutschland, kommt iranisches Erbrecht zur Anwendung.
Rz. 298
Das deutsch-türkische Nachlassabkommen von 1929 regelt das anzuwendende Recht für Erbfälle deutscher und türkischer Staatsangehöriger, die nach dem Tod Nachlassvermögen im jeweiligen anderen Staat hinterlassen. Ob davon auch in einem Drittstaat belegendes Nachlassvermögen umfasst ist, ist umstritten.
Das Abkommen sieht in § 14 eine Nachlassspaltung vor: Für bewegliches Nachlassvermögen gilt das Recht des Staates, dem der Erblasser im Todeszeitpunkt angehört hat; auf unbewegliches Nachlassvermögen findet das Recht des Staates Anwendung, in dem es belegen ist.
Rz. 299
Exkurs: Nach § 15 des Abkommens sind Klagen zu beweglichem Vermögen, die die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Vermächtnisansprüche oder Pflichtteilsansprüche zum Gegenstand haben, vor dem Gericht des Staates geltend zu machen, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. Klagen im Hinblick auf unbewegliches Vermögen sind dagegen vor Gerichten des Staates zu erheben, in denen es belegen ist. Da die konsequente Umsetzung dieser Differenzierung zu erheblichen Unsicherheiten führt, wird die Norm sehr restriktiv angewandt, um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten.
Rz. 300
Der deutsch-sowjetische Konsularvertrag von 1958 gilt für einen Großteil der heute auf dem Gebiet der zerfallenen UdSSR existierenden Staaten (Russland, Ukraine, Weißrussland, Armenien, Aserbeidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan und Moldawien). Für Litauen, Lettland, Estland und Turkmenistan existieren keine Überführungsabkommen oder -noten, sodass der Vertrag in diesen Fällen keine Anwendung findet.
Art. 28 Abs. 3 des Vertrages enthält für unbewegliches Nachlassvermögen eine Kollisionsnorm, nach der das Recht des Staates gilt, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Obwohl der Vertrag im Wesentlichen die Befugnisse von entsandten Konsuln im jeweiligen anderen Staat für Beurkundungen und Nachlasssicherungen regelt, gilt die Kollisionsnorm umfassend auch für gerichtliche Verfahren.