Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
Rz. 303
Art. 22 Abs. 1 EuErbVO eröffnet dem Erblasser die Möglichkeit, die Wahl des anwendbaren Rechts auf seinen Erbfall selbst vorzunehmen. Allerdings ist er nicht frei in seiner Entscheidung, ein beliebiges Recht zu wählen, oder es nur auf bestimmte Teile des Nachlasses für anwendbar zu erklären. Der Erblasser kann eine Rechtswahl nur einheitlich vornehmen und nur zwischen dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er im Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt, und dem Recht des Staates, dem er im Zeitpunkt seines Todes angehören wird, wählen. Ist der Erblasser Angehöriger mehrerer Staaten, steht ihm eine Rechtswahl bezüglich dieser Staaten frei, unabhängig von ihrer Effektivität.
Die Erbrechtsverordnung erklärt nicht, wie die Staatsangehörigkeit zu bestimmen ist, sondern verweist in Erwägungsgrund 41 unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Europäischen Union auf das nationale Recht.
Rz. 304
Nach Art. 22 Abs. 2 EuErbVO kann die Rechtswahl ausdrücklich oder konkludent in einer Verfügung von Todes wegen erfolgen. Zwar konkretisiert die Erbrechtsverordnung die konkludente Rechtswahl nicht, allerdings liefert Erwägungsgrund 39 Beispiele, an denen sich der Rechtsanwender orientieren kann:
Zitat
"Eine Rechtswahl sollte ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben. Eine Rechtswahl könnte als sich durch eine Verfügung von Todes wegen ergebend angesehen werden, wenn z.B. der Erblasser in seiner Verfügung Bezug auf spezifische Bestimmungen des Rechts des Staates, dem er angehört, genommen hat oder das Recht dieses Staates in anderer Weise erwähnt hat."
Rz. 305
Die Zulässigkeit einer Rechtswahl ergibt sich unmittelbar aus Art. 22 EuErbVO, wird also von der Norm vorausgesetzt, vgl. Erwägungsgrund 40. Die materielle Wirksamkeit der Rechtshandlung, durch die die Rechtswahl vorgenommen wird, unterliegt dem gewählten Recht, Art. 22 Abs. 3 EuErbVO.
Rz. 306
Möchte der Erblasser das gewählte Erbstatut durch eine Rechtshandlung ändern oder widerrufen, muss sie den Formvorschriften für die Änderung oder den Widerruf letztwilliger Verfügungen entsprechen, § 22 Abs. 4 EuErbVO. Die Norm enthält keine Kollisionsregelung, sodass für das Formstatut auf Art. 27 EuErbVO bezüglich Erbverträge bzw. im Hinblick auf Testamente und gemeinschaftliche Testamente auf das für Deutschland vorrangige Haager Testamentsformübereinkommen zurückzugreifen ist.
Rz. 307
Dem Wortlaut nach enthält die Norm auch keine Kollisionsregelung zur anwendbaren Rechtsordnung für die Bestimmung der Wirksamkeit der Rechtshandlung, mit der die Rechtswahl widerrufen oder geändert wird, sodass sich die Frage stellt, nach welchem Recht sich die Prüfung der materiellen Wirksamkeit richtet.
Richtigerweise ist auf das gewählte Recht abzustellen (Art. 22 Abs. 1, 3 EuErbVO entsprechend), wobei zu differenzieren ist:
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Die materielle Wirksamkeit der Rechtshandlung, die die Rechtswahl widerruft, richtet sich nach dem ursprünglich gewählten Recht. |
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Die materielle Wirksamkeit der Rechtshandlung, die die Rechtswahl abändert, richtet sich nach dem neu gewählten Recht. |
Rz. 308
Erwägungsgrund 40 der EuErbVO sieht vor, dass zur Bestimmung der materiellen Wirksamkeit der Rechtshandlung, mit der die Rechtswahl widerrufen wird, das gewählte Recht gelten soll:
Zitat
"Eine Rechtswahl nach dieser Verordnung sollte auch dann wirksam sein, wenn das gewählte Recht keine Rechtswahl in Erbsachen vorsieht. Die materielle Wirksamkeit der Rechtshandlung, mit der die Rechtswahl getroffen wird, sollte sich jedoch nach dem gewählten Recht bestimmen, d.h. ob davon auszugehen ist, dass die Person, die die Rechtswahl trifft, verstanden hat, was dies bedeutet, und dem zustimmt. Das Gleiche sollte für die Rechtshandlung gelten, mit der die Rechtswahl geändert oder widerrufen wird."
Der Erwägungsgrund lässt dem Wortlaut nach keine Rückschlüsse zu, ob das ursprüngliche oder neu gewählte Recht gemeint ist. Sinnvollerweise kann für eine widerrufende Rechtshandlung nur das ursprünglich gewählte Recht gemeint sein. Denn die Folgen der Rechtshandlung stellen nur den Rechtszustand wieder her, der zuvor bestanden hat (actus contrarius). War zuvor kein Erbstatut gewählt, gilt das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts. Für diesen Fall existiert keine andere Rechtshandlung als diejenige, mit der das Erbstatut ursprünglich gewählt worden ist, sodass es nur auf das ursprünglich gewählte Recht ankommen kann.
Rz. 309
Zur Rechtshandlung, mit der die Rechtswahl geändert wird, gehen die Ansichten auseinander. Denn ihr kommt eine Doppelfunktion zu: Zum einen entfaltet durch sie die ursprüngliche Rechtswahl keine Wirkung mehr, zum anderen erklärt sie ein anderes Erbstatut für anwendbar. Daraus ergeben sich unterschiedliche Anknüpfungsmöglichkeiten für die Bestimmung der materiellen Wirksamkeit: Das ursprünglich gewählte Recht, das neu gewählte Recht oder beide Rechtsordnungen kumulativ.
Aus dem Wo...