I. Einführung eines supranationalen Erbnachweises

 

Rz. 353

Zwar hält die Erbrechtsverordnung nach Art. 39 ff. die Anerkennung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen bereit, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Allerdings bleibt unklar, ob die nationalen Erbnachweise stets das Merkmal einer Entscheidung erfüllen, weil sie ggf. nicht den Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EuErbVO entsprechen.[264] Ist dies nicht der Fall, ist zu prüfen, ob nach Art. 59 Abs. 1 EuErbVO der nationale Erbnachweis als öffentliche Urkunde (Art. 3 Abs. 1 Buchst. i EuErbVO) angenommen werden kann und damit die gleiche formelle Beweiskraft erhält wie im Ursprungsstaat. Auch die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts führt zu einem europäischen Entscheidungsgleichklang, der die nach dem anwendbaren Sachrecht mögliche materielle Substitution des ausländischen Erbnachweises erleichtert.[265]

Gleichwohl verbleiben Schwierigkeiten bei der zwischenstaatlichen Verkehrsfähigkeit der nationalen Erbnachweise, weil sie nach unterschiedlichen Anforderungen und Wirkungen ausgestellt bzw. erteilt werden.

 

Rz. 354

Diese Lücke möchte die Erbrechtsverordnung mit der Einführung des Europäischen Nachlasszeugnisses schließen: Sie stellt einen supranationalen einheitlichen Erbnachweis zur grenzüberschreitenden Verwendung zur Verfügung. Dieser tritt jedoch nicht an die Stelle des nationalen Erbnachweises, sondern neben diesen. Die am Nachlass berechtigten Personen, die im Europäischen Nachlasszeugnis aufgeführt sind, sollen in die Lage versetzt werden, ihn zügig, unkompliziert und effizient abzuwickeln.

Hierzu Erwägungsgrund 67 der EuErbVO:

Zitat

"Eine zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Union setzt voraus, dass die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter in der Lage sein sollten, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat, beispielsweise in einem Mitgliedstaat, in dem Nachlassvermögen belegen ist, einfach nachzuweisen. Zu diesem Zweck sollte diese Verordnung die Einführung eines einheitlichen Zeugnisses, des Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden "das Zeugnis"), vorsehen, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird. Das Zeugnis sollte entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip nicht die innerstaatlichen Schriftstücke ersetzen, die gegebenenfalls in den Mitgliedstaaten für ähnliche Zwecke verwendet werden."

[264] Dutta/Weber/J. P. Schmidt, EuErbVO, Art. 3 Rn 8 f. m.w.N. und Beispiel anhand des französischen acte de notoriété.
[265] Dutta/Weber/Fornasier, EuErbVO, Vor Art. 62 Rn 2.

II. Verfahren zur Ausstellung des Zeugnisses

1. Allgemeines

 

Rz. 355

Zwar ist die Erbrechtsverordnung nach Art. 84 EuErbVO unmittelbar in den Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Irland, Großbritannien und Dänemark anwendbar. Allerdings ist zur Durchführung der EuErbVO eine begleitende Ergänzung und Anpassung des mitgliedstaatlichen Rechts erforderlich. Denn die Verordnung regelt das Verfahren nicht in allen Einzelheiten. Verweise oder Bezugnahmen auf das mitgliedstaatliche Recht enthalten Art. 64 S. 2 EuErbVO zur Zuständigkeit, Art. 66 Abs. 1, 3, 4 zum Ausstellungsverfahren sowie Art. 72 Abs. 1 UAbs. 3 EuErbVO zum Rechtsbehelfsverfahren. Zur Durchführung des Verfahrens hat Deutschland das Internationale Erbrechtsverfahrensgesetz (IntErbRVG) erlassen, das zum 17.8.2015 in Kraft getreten ist.[266] §§ 33 bis 44 IntErbRVG betreffen das Europäische Nachlasszeugnis. Nach § 35 Abs. 1 IntErbRVG ist subsidiär das FamFG heranzuziehen.

[266] Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften v. 29.6.2015 (BGBl I, 1042).

2. Zuständigkeit

 

Rz. 356

Das IntErbRVG knüpft die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit an die in der Erbrechtsverordnung geregelte internationale Zuständigkeit an. Art. 64 S. 1 EuErbVO weist die internationale Zuständigkeit für die Ausstellung des Zeugnisses den Gerichten zu, die nach Art. 4, 7, 10 und 11 EuErbVO zuständig sind (siehe hierzu Rdn 273 ff.). § 34 Abs. 3 IntErbRVG nimmt dies für Deutschland auf und spiegelt § 343 Abs. 2 FamFG im Wesentlichen: Das Gericht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers ist örtlich ausschließlich zuständig. Hatte der Erblasser keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, ist das Amtsgericht Schöneberg in Berlin örtlich ausschließlich zuständig. Das Amtsgericht Schöneberg kann die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Nachlassgericht verweisen.

 

Rz. 357

§ 34 Abs. 1, 2 IntErbRVG regelt die Zuständigkeit bei der Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO, indem die Norm auf Art. 7 EuErbVO verweist. Art. 7 EuErbVO wiederum unterscheidet drei Fälle, an die das IntErbRVG für die ausschließliche örtliche Zuständigkeit anknüpft (vgl. Rdn 279).

Hat sich das zunächst angerufene Gericht wegen der Wahl des deutschen Erbstatuts auf Antrag einer Verfahrenspartei für unzuständig erklärt, ist das deutsche Gericht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers örtlich ausschließlich zuständig.
Ha...

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