Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
Rz. 160
Steht bei einem zeitnahen Versterben von Ehegatten nicht fest, wer wen überlebt hat, muss das Nachlassgericht zunächst die genauen Todeszeitpunkte der Ehegatten ermitteln, um die jeweilige Erbfolge bestimmen zu können. Erst wenn diese Aufklärung erfolglos geblieben ist, greift die Vermutung des gleichzeitigen Versterbens des § 11 VerschG ein.
Rz. 161
Haben die Ehegatten den Fall des gleichzeitigen Versterbens durch eine sog. Katastrophenklausel letztwillig im gemeinschaftlichen Testament geregelt, muss das Nachlassgericht diese Verfügung auslegen. Greift die Klausel ein, wird das jeweilige Vermögen von kinderlosen Ehegatten typischerweise in die eigenen Familien vererbt. Beerbt der überlebende Ehegatte den vorverstorbenen Ehegatten allein, weil die Klausel nicht eingreift, kann es zu einer Schlusserbfolge kommen, die möglicherweise von den Ehegatten so nicht vorhergesehen wurde. Denn ist der zweite Erbfall nicht geregelt, erben die Verwandten des nachverstorbenen Ehegatten auch das auf diesen übergegangene Vermögen des vorverstorbenen Ehegatten im Wege der gesetzlichen Erbfolge. Die Verwandten des vorverstorbenen Ehegatten gehen leer aus.
Rz. 162
Zum Verständnis derartiger Klauseln, die in Details voneinander abweichen ("im Falle unseres gemeinsamen Ablebens", "bei gleichzeitigem Versterben", "plötzlicher Tod" etc.), existiert eine umfangreiche Rechtsprechung, die aufgrund einer gewissen Auslegungsfreude den Zeitraum des gleichzeitigen Versterbens weit ausgedehnt hat. So hat bspw. das OLG München für eine wie folgt formulierte Klausel "Sollte es Gott dem Allmächtigen gefallen, dass wir beide Ehegatten miteinander durch irgendein Ereignis sterben" entschieden, dass auch ein Versterben in einem zeitlichen Abstand von 32 Jahren noch als miteinander verbundenes Versterben im Sinne der Klausel verstanden werden konnte.
Rz. 163
Richtigerweise hat das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung den Fall des gleichzeitigen Versterbens eingegrenzt und die Anwendbarkeit der Katastrophenklausel davon abhängig gemacht, ob der überlebende Ehegatte noch in der Lage gewesen ist, tatsächlich anderweitig zu testieren, ob er also noch testierfähig war:
Zitat
"Ehegatten, die sich gegenseitig zu Erben einsetzen, ohne diese Regelung mit einer Erbeinsetzung für den Tod des Längerlebenden von ihnen (Schlusserbeinsetzung) zu verbinden, bezwecken damit, dass dem Überlebenden der Nachlass des Erstversterbenden zufällt und dass er über das Gesamtvermögen auch von Todes wegen frei verfügen kann. Ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht dann für den Fall des "gleichzeitigen Todes", in dem es nicht zu einer Beerbung des einen Ehegatten durch den anderen und zu einer weiteren Verfügung von Todes wegen des überlebenden Ehegatten kommt. Dieser Regelungsbedarf besteht nicht nur für den Fall des in engerem Sinn gleichzeitigen Todes, sondern auch in Fällen, in denen die Ehegatten innerhalb eines kürzeren Zeitraums nacheinander sterben, sei es aufgrund ein und derselben Ursache, z.B. eines Unfalls, sei es aufgrund verschiedener Ursachen, wenn der Überlebende nach dem Tod des Erstversterbenden praktisch keine Möglichkeit mehr hat, ein Testament zu errichten."
In diesem Fall des Versterbens kurz nacheinander würde zwar die gegenseitige Erbeinsetzung greifen, doch hinge es vom Zufall der Reihenfolge des Versterbens ab, ob, wenn keine entsprechende letztwillige Verfügung getroffen wurde, den gesetzlichen Erben des Ehemannes oder den gesetzlichen Erben der Ehefrau das gesamte Vermögen beider Eheleute zufließt. Es ist daher sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, eine zusätzliche Regelung jedenfalls für den Fall zu treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist. Auf diese Fallgestaltung wollen Ehegatten mit der Verwendung von Formulierungen wie "bei gleichzeitigem Ableben" die Erbeinsetzung des Drittbedachten regelmäßig beschränken und so dem Überlebenden von ihnen die Bestimmung überlassen, wer ihn beerben soll (OLG München, a.a.O., S. 34 f. mit Nachw.; dem folgend auch OLG Nürnberg, ZErb 2015, 130).“