Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
1. Allgemeines
Rz. 266
Ein deutsches Nachlassgericht darf einen Erbschein nur erteilen, wenn es international zuständig ist. Hat es als international unzuständiges Gericht einen Erbschein erteilt, ist dieser unrichtig und deswegen einzuziehen.
2. Rechtslage bis zum Ablauf des 16.8.2015
Rz. 267
Nach dem bis zum Ablauf des 16.8.2015 geltenden Recht richtete sich die internationale Zuständigkeit deutscher Nachlassgerichte im Erbscheinsverfahren "doppelfunktional" nach der örtlichen Zuständigkeit, §§ 105, 343 FamFG a.F.
Rz. 268
Bei einem deutschen Erblasser richtete sich die örtliche Zuständigkeit gem. § 343 FamFG a.F. nach seinem letzten inländischen Wohnsitz. Hatte der Erblasser zur Zeit des Erbfalls im Inland keinen Wohnsitz, aber einen Aufenthalt, war an diesen hilfsweise anzuknüpfen. Notfalls galt gem. § 343 Abs. 2 FamFG a.F. das Amtsgericht Berlin-Schöneberg als örtlich zuständig.
Rz. 269
Bei einem ausländischen Erblasser galt ebenfalls die internationale Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts, hilfsweise diejenige des Aufenthaltsgerichts. Fehlte es an beiden, war jedes Nachlassgericht zuständig, in dessen Bezirk sich Nachlassgegenstände befanden, § 343 Abs. 3 FamFG a.F.
3. Rechtslage ab dem 17.8.2015
a) Europäische Erbrechtsverordnung
Rz. 270
Die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses vom 4.7.2012 (EuErbVO) wurde am 27.7.2012 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.
Sie trat am 16.8.2012 in Kraft und gilt ab dem 17.8.2015 umfassend. In Art. 83 EuErbVO finden sich Übergangsvorschriften. Nach Art. 84 EuErbVO gilt die Verordnung unmittelbar in den Mitgliedstaaten und genießt Anwendungsvorrang, Art. 288 Abs. 2 AEUV.
b) Umstrittene Bestimmung der internationalen Zuständigkeit
Rz. 271
Zwar enthält die Erbrechtsverordnung in den Art. 4 ff. Regelungen zur internationalen Zuständigkeit. Allerdings ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur umstritten, ob sich die internationale Zuständig für das Verfahren zur Erteilung eines nationalen Erbscheins weiterhin nach den §§ 105, 343 FamFG richtet oder ob nunmehr allein die Art. 4 ff. EuErbVO hierfür gelten sollen.
In einer ersten obergerichtlichen Entscheidungen zu dieser Frage wandte das OLG Hamburg die Art. 4 ff. EuErbVO auf einen zwischen dem 20. und 22.9.2015 in Spanien verstorbenen Erblasser, der zeitweilig in Deutschland gelebt hatte, zur Bestimmung des letzten gewöhnlichen Aufenthalts im Erbscheinserteilungsverfahren an, ohne sich mit den gegenläufigen Stimmen auseinanderzusetzen.
Das KG legte dagegen die Frage der Vereinbarkeit des § 105 FamFG mit höherrangigem Europarecht zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte im Erbscheinserteilungsverfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Das Gericht sah die §§ 105, 343 FamFG weiterhin als anwendbar an, weil der deutsche Gesetzgeber ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (IntErbRVG) vom 4.3.2015 nichts an der bestehenden Rechtslage ändern wollte:
Zitat
"Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit bleibt es mangels einer besonderen Bestimmung in den §§ 98 bis 104 FamFG bei der Anwendung von § 105 FamFG. Danach kommt es für die internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte allein darauf an, ob die örtliche Zuständigkeit nach § 343 FamFG gegeben ist. Betroffen hiervon sind diejenigen erbrechtlichen Verfahren mit Auslandsberührung, die nicht vom Zuständigkeitsregime der ErbVO erfasst werden, wie z.B. die besondere amtliche Verwahrung nach § 342 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 FamFG sowie die Erteilung und Einziehung und gegebenenfalls Kraftloserklärung von Erbscheinen, Testamentsvollstreckerzeugnissen und sonstigen vom Nachlassgericht zu erteilenden Zeugnissen nach § 342 Absatz 1 Nummer 6 FamFG." [Unterstreichungen durch den Senat]
In dem Fall geht es um die Erteilung eines gegenständlich beschränkten Fremdrechtserbscheins nach französischem Recht für in Deutschland belegenes Nachlassvermögen. Zuvor hatte der Antragsteller bereits ein französisches Nachlasszeugnis für den am 28.11.2015 mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich verstorbenen Erblasser in Frankreich beantragt und erhalten. Das Nachlassgericht Schöneberg in Berlin wandte Art. 4 EuErbVO an und erklärte sich wegen des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers in Frankreich nach Art. 15 EuErbVO international für unzuständig. Hiergegen richtete sich der Antragsteller mit der eingelegten Beschwerde an das KG.
Die Rechtssache ist derzeit beim EuGH unter dem Aktenzeichen C-20/17 anhängig.