Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
1. Vereinheitlichung des Kollisionsrechts durch EuErbVO
Rz. 283
Ab dem 17.8.2015 ist die Erbrechtsverordnung vollumfänglich gültig (Art. 84 EuErbVO) und führt ein einheitliches erbrechtliches Kollisionsregime für alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme von Großbritannien, Irland und Dänemark ein.
Durch Art. 20 EuErbVO wird ein mit einem Ausschließlichkeitsanspruch versehenes allseitiges Kollisionsrecht geschaffen, das sowohl die Kollision von Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten untereinander als auch mit Drittstaaten regelt. Das nach dieser Verordnung bezeichnete Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es sich nicht um das Recht eines Mitgliedstaates handelt.
Dabei erfolgt die Auslegung der Kollisionsnormen autonom vom nationalen Recht, sodass Rechtsbegriffe, die die Verordnung selbst definiert, nicht vor dem Hintergrund des nationalen Verständnisses für ähnliche Rechtsbegriffe ausgelegt werden dürfen.
Rz. 284
Die Erbrechtsverordnung enthält das maßgebliche erbrechtliche Kollisionsrecht:
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Das Erbstatut, dessen Reichweite in Art. 23 EuErbVO festgelegt ist, bezeichnet das nationale Recht, das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen zur Anwendung kommt, Art. 21 oder Art. 22 EuErbVO. |
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Das Errichtungsstatut bzw. hypothetische Erbstatut bezeichnet das nationale Recht, das zur Bestimmung der Zulässigkeit und materiellen Wirksamkeit der Errichtung eines Testaments (Art. 24 EuErbVO) oder eines Erbvertrages (Art. 25 EuErbVO), für diesen ergänzt um die Bindungswirkung und die Voraussetzungen der Auflösung des Erbvertrages, anwendbar ist (umstritten ist die Einordnung des gemeinschaftlichen Testaments, siehe dazu Rdn 327 f.). |
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Das Formstatut enthält das nationale Recht, das die Voraussetzungen bestimmt, unter denen eine Verfügung von Todes wegen formgültig errichtet werden kann, Art. 27 EuErbVO. Aufgrund Art. 75 Abs. 1 EuErbVO gilt für Deutschland vorrangig das Haager Testamentsformübereinkommen von 1961 im Hinblick auf Testamente und gemeinschaftliche Testamente. Allein Erbverträge sind dem Regime des Art. 27 EuErbVO unterworfen. |
Rz. 285
Hinweis
Die Erbrechtsverordnung hält diese klare Trennung nicht immer ein. Denn bspw. regelt Art. 22 Abs. 3 EuErbVO auch die Frage des anzuwendenden Rechts zur Bestimmung der materiellen Wirksamkeit der Rechtshandlung, mit der die Wahl des Erbstatuts vorgenommen wird. Ob eine Rechtshandlung materiell wirksam ist, die selbst eine Verfügung von Todes wegen darstellt (z.B. als Einzelverfügung), ist allerdings eine Frage des Errichtungsstatuts und nicht des Erbstatuts.
2. Grenzen der Vereinheitlichung
Rz. 286
Art. 1 Abs. 1, 2 Buchst. a bis l EuErbVO nimmt u.a. folgende wichtige Regelungsbereiche aus dem Anwendungsbereich der Verordnung heraus:
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(Schenkung- und Erbschaft-)Steuerrecht |
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eheliches Güterrecht |
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Gesellschaftsrecht |
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Sachenrecht |
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Grundbuchverfahrensrecht. |
Hier ist es der Rechtsprechung, insbesondere derjenigen des EuGH, überlassen, künftig die Grenzen des Anwendungsbereichs der Verordnung zu definieren.
Rz. 287
Gerade die Abgrenzung zwischen Erbstatut und Sachenrechtsstatut wirft schwierige Fragen auf. Der EuGH hat sich in einer Vorabentscheidung auf Vorlage eines polnischen Gerichts dazu geäußert, ob bei der Wahl des polnischen Erbstatuts nach Art. 22 EuErbVO das dem polnischen Erbrecht bekannte dinglich wirkende Vindikationslegat bezüglich einer in Deutschland belegenen Immobilie erbrechtliche Wirkung entfaltet, weil das deutsche Erbrecht nur das schuldrechtlich wirkende Damnationslegat kennt. Dies bejahte er, weil das Erbstatut nur die Art und Weise des Erwerbs regelt, nicht jedoch die Voraussetzungen des dinglichen Rechts selbst (numerus clausus).
Freilich ist damit nicht die Frage beantwortet, welche Nachweise dem Grundbuchamt in Deutschland nach dem Tod des Erblassers zur Berichtigung des Grundbuchs vorzulegen sind. Es kann ggf. den Nachweis eines Vollzugsakts aufgrund einer Umdeutung in ein Damnationslegat verlangen. Denn das Grundbuchverfahrensrecht unterfällt nicht der Erbrechtsverordnung. Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. l EuErbVO gehören dazu auch die gesetzlichen Voraussetzungen der Eintragung.
Rz. 288
Art. 30 EuErbVO enthält eine Vorbehaltsklausel für Mitgliedstaaten, die Rechtsnachfolge von Todes wegen im Hinblick auf unbewegliches Nachlassvermögen, Unternehmen oder andere besondere Vermögenswerte aus wirtschaftlichen, familiären oder sozialen Erwägungen zu beschränken. Die Norm soll gewährleisten, dass spezifische, meist historisch gewachsene, nachlassrechtliche nationale Rechtsinstitute wirksam bleiben. In Deutschland fällt hierunter bspw. das Sondererbrecht des Hoferbens oder die Sondererbfolge in ein Mietverhältnis.
Von der Ausnahmevorschrift sollen aber nicht nationale Kollisionsnormen umfasst sein, die zu einer Nachlassspaltung führen würden (Erwägungsgrund 54 der EuErbVO):
Zitat
"Diese Ausnahme von der Anwendung des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Rechts ist j...