Dr. iur. Patrick Lenz, Dr. iur. Klaus Koch
a) Rücktritt bei Verfehlungen des Bedachten (§ 2294 BGB)
Rz. 121
Macht sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig, die den Erblasser berechtigt, ihm den Pflichtteil zu entziehen, oder – falls der Bedachte nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört – ihn berechtigen würde, einem Abkömmling den Pflichtteil zu entziehen, so kann der Erblasser vom Erbvertrag zurücktreten (§ 2294 BGB). Die Pflichtteilsentziehungsgründe sind in § 2333 BGB abschließend aufgezählt (vgl. § 13 Rdn 11 ff.).
Rz. 122
Der frühere Entziehungsgrund des "ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels" wurde in der Erbrechtsreform ersetzt durch Entziehung bei rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung. Zu beachten ist, dass die Wendung in § 2294 BGB, wonach sich der Bedachte einer Verfehlung "schuldig" gemacht haben muss, nicht im streng strafrechtlichen technischen Sinn zu verstehen ist; Schuldfähigkeit des Bedachten i.S.v. § 20 StGB ist nicht erforderlich.
Rz. 123
Nur wenn die Verfehlung nach Vertragserrichtung begangen wurde, entsteht das Rücktrittsrecht. War sie bereits vorher begangen worden, hatte der Erblasser aber keine Kenntnis davon, so kann ein Anfechtungsrecht in Betracht kommen. Die Beweislast für das Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen trägt der Erblasser.
b) Rücktritt bei Wegfall der Gegenverpflichtung (§ 2295 BGB)
Rz. 124
§ 2295 BGB gewährt dem Erblasser ein Rücktrittsrecht, wenn die Verpflichtung des Vertragspartners auf wiederkehrende Leistungen gegenüber dem Erblasser vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Diese Vorschrift zielt auf entgeltliche Erbverträge ab. Seine bereits erbrachten Leistungen kann der Vertragspartner im Falle des Rücktritts nach § 812 Abs. 1 S. 2 BGB zurückverlangen (Nichterreichen des bezweckten Erfolgs).
Die Aufhebung der Gegenverpflichtung muss zumindest einen Beweggrund für den Rücktritt nach § 2295 BGB darstellen. Daran fehlt es, wenn der Erblasser die Aufhebung der Verpflichtung bestreitet.
Rz. 125
Leistet der Vertragspartner schlecht oder kommt er in Verzug, so hat der Erblasser kein Rücktrittsrecht, weil §§ 325, 326 BGB nicht gelten. Es kommt ein Anfechtungsrecht nach §§ 2281, 2078 Abs. 2 BGB in Betracht (Irrtum über den künftigen Umstand der Schlechterfüllung).
c) Fall-Beispiel
Rz. 126
Beispiel
Mutter M und Tochter T schließen einen Erbvertrag, wonach M ihre Tochter T in vertraglich bindender Weise und ohne Rücktrittsvorbehalt zur Alleinerbin einsetzt. Die Tochter T hat sich im Gegenzug zur Zahlung einer wertgesicherten Leibrente an M verpflichtet. Außerdem sollte die Leibrente durch Eintragung einer Reallast auf einem Gebäudegrundstück der Tochter T gesichert werden. Letzteres ist unterblieben. Die aufgrund der Wertsicherung zu zahlenden erhöhten Beträge wurden nie geleistet, vielmehr wurden immer nur die Rentengrundbeträge bezahlt. Seit einem halben Jahr wird von T keinerlei Zahlung mehr an M erbracht. Kann M von dem Erbvertrag zurücktreten?
Der Erblasser kann nach § 2295 BGB von einer vertragsmäßigen Verfügung von Todes wegen zurücktreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu erbringen, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird.
aa) Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Erbvertrag
Rz. 127
Voraussetzung für ein Rücktrittsrecht aus § 2295 BGB ist, dass die Verpflichtung des erbvertraglich Bedachten einen Beweggrund für die getroffene Verfügung von Todes wegen darstellt. Die weitere in § 2295 BGB genannte Voraussetzung ist die Aufhebung der Rentenzahlungsverpflichtung.
Der Begriff der Aufhebung wird von der h.M. so verstanden, dass darunter nicht nur eine einvernehmliche Aufhebung zu verstehen sei, sondern auch jeder nachträgliche Wegfall der Leistungsverpflichtung, aus welchem Rechtsgrund auch immer.
Weil die Rentenzahlung in der Vergangenheit nur teilweise – ohne die wertgesicherte Anpassungserhöhung – erfolgt und jetzt ganz ausgeblieben ist und außerdem die vereinbarte Sicherheit nicht gestellt wurde, könnte der M ein Rücktrittsrecht nach § 326 BGB zustehen. Wobei es allerdings h.M. ist, dass erbvertragliche Verfügung einerseits und Leistungsverpflichtung andererseits nicht in einem synallagmatischen Verhältnis zueinander stehen, weil das eine eine Verfügung von Todes wegen ist, das andere eine Verpflichtung unter Lebenden. Nach anderer Meinung liegt – ähnlich dem dinglich wirkenden – Erbverzicht auch dem Erbvertrag ein Grundvertrag zugrunde, bei dem die Verpflichtung zur Erbeinsetzung und die Zahlungsverpflichtung in einem synallagmatischen Verhältnis zueinander stünden.
Eine analoge Anwendung von § 326 BGB bei Leibrentenv...