Dr. iur. Patrick Lenz, Dr. iur. Klaus Koch
Rz. 119
Dem Erblasser kann entweder ein vertraglich vereinbartes vollständiges oder teilweises Rücktrittsrecht (§ 2293 BGB) oder ein durch Gesetz gewährtes zustehen (§§ 2294 ff. BGB). In diesem Zusammenhang sollte anlässlich der Errichtung eines Erbvertrags unter Ehegatten oder Lebenspartnern stets erörtert werden, ob die Beteiligten sich analog zur Regelung des nicht abdingbaren gesetzlichen Rücktrittsrechts bei Ehegatten und Lebenspartnern in einem gemeinschaftlichen Testament für ihren Erbvertrag ein entsprechendes vertragliches Rücktrittsrecht vorbehalten wollen. Soweit andere Personen als Ehegatten und/oder Lebenspartner einen Erbvertrag schließen, insbesondere Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften, sollte notwendigerweise das Rücktrittsrecht für beide Vertragsteile stets vorbehalten werden, weil ansonsten insbesondere in Trennungsfällen keine Möglichkeit mehr einer einseitigen Aufhebung durch einen der Erblasser besteht; die Regelungen, wonach gewisse Trennungskonstellationen die Unwirksamkeit eines abgeschlossenen Erbvertrags bewirken (in Scheidungsfällen die §§ 2279, 2077 BGB oder bei Aufhebung einer Lebenspartnerschaft der § 10 Abs. 5 LPartG), greifen in diesen Fällen gerade nicht, auch nicht in analoger Anwendung; die Annahme eines Rücktrittsrechts in ergänzender Auslegung dürfte – mangels Andeutung – nicht in Betracht kommen.
1. Vorbehaltenes Rücktrittsrecht
Rz. 120
Das im Erbvertrag vorbehaltene Rücktrittsrecht bietet dem Erblasser die Möglichkeit, durch einseitige Erklärung vom Vertrag loszukommen. Ob und in welchem Umfang die Rücktrittsmöglichkeit bestehen soll, unterliegt dem Willen der Vertragsparteien und ist notfalls durch Auslegung zu ermitteln, wobei auch auf den Empfängerhorizont abzustellen ist.
Praxishinweis
Der Umfang des vorbehaltenen Rücktrittsrechts ist präzise zu formulieren.
2. Gesetzliches Rücktrittsrecht
a) Rücktritt bei Verfehlungen des Bedachten (§ 2294 BGB)
Rz. 121
Macht sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig, die den Erblasser berechtigt, ihm den Pflichtteil zu entziehen, oder – falls der Bedachte nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört – ihn berechtigen würde, einem Abkömmling den Pflichtteil zu entziehen, so kann der Erblasser vom Erbvertrag zurücktreten (§ 2294 BGB). Die Pflichtteilsentziehungsgründe sind in § 2333 BGB abschließend aufgezählt (vgl. § 13 Rdn 11 ff.).
Rz. 122
Der frühere Entziehungsgrund des "ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels" wurde in der Erbrechtsreform ersetzt durch Entziehung bei rechtskräftiger Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung. Zu beachten ist, dass die Wendung in § 2294 BGB, wonach sich der Bedachte einer Verfehlung "schuldig" gemacht haben muss, nicht im streng strafrechtlichen technischen Sinn zu verstehen ist; Schuldfähigkeit des Bedachten i.S.v. § 20 StGB ist nicht erforderlich.
Rz. 123
Nur wenn die Verfehlung nach Vertragserrichtung begangen wurde, entsteht das Rücktrittsrecht. War sie bereits vorher begangen worden, hatte der Erblasser aber keine Kenntnis davon, so kann ein Anfechtungsrecht in Betracht kommen. Die Beweislast für das Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen trägt der Erblasser.
b) Rücktritt bei Wegfall der Gegenverpflichtung (§ 2295 BGB)
Rz. 124
§ 2295 BGB gewährt dem Erblasser ein Rücktrittsrecht, wenn die Verpflichtung des Vertragspartners auf wiederkehrende Leistungen gegenüber dem Erblasser vor dem Tod des Erblassers aufgehoben wird. Diese Vorschrift zielt auf entgeltliche Erbverträge ab. Seine bereits erbrachten Leistungen kann der Vertragspartner im Falle des Rücktritts nach § 812 Abs. 1 S. 2 BGB zurückverlangen (Nichterreichen des bezweckten Erfolgs).
Die Aufhebung der Gegenverpflichtung muss zumindest einen Beweggrund für den Rücktritt nach § 2295 BGB darstellen. Daran fehlt es, wenn der Erblasser die Aufhebung der Verpflichtung bestreitet.
Rz. 125
Leistet der Vertragspartner schlecht oder kommt er in Verzug, so hat der Erblasser kein Rücktrittsrecht, weil §§ 325, 326 BGB nicht gelten. Es kommt ein Anfechtungsrecht nach §§ 2281, 2078 Abs. 2 BGB in Betracht (Irrtum über den künftigen Umstand der Schlechterfüllung).
c) Fall-Beispiel
Rz. 126
Beispiel
Mutter M und Tochter T schließen einen Erbvertrag, wonach M ihre Tochter T in vertraglich bindender Weise und ohne Rücktrittsvorbehalt zur Alleinerbin einsetzt. Die Tochter T hat sich im Gegenzug zur Zahlung einer wertgesicherten Leibrente an M verpflichtet. Außerdem sollte die Leibrente durch Eintragung einer Reallast auf einem Gebäudegrundstück der Tochter T gesichert werden. Letzteres ist unterblieben. Die aufgrund der Wertsicherung zu zahlenden erhöhten Beträge wurden nie geleistet, vielmehr wurden immer nur die Rentengrundbeträge bezahlt. Seit einem halben Jahr wird von T keinerlei Zahlung mehr an M erbracht. Kann M von dem Erbvertrag zurücktreten?
Der Erblasser kann nach § 2295 BGB von einer vertragsmäßigen Verfügung von Todes wegen zurücktreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine rechtsgesc...