Rz. 96
Bisweilen erfährt das "claims-made-Prinzip" (vgl. dazu Rdn 77 ff.) in zeitlicher Hinsicht eine Erweiterung. Mit Umstandsmeldungen werden Sachverhalte geschildert, denen mutmaßliche Pflichtverletzungen zugrunde liegen, die (später) zu Vermögensschäden und so zu Inanspruchnahmen von Organen führen (können). Dazu findet sich ab dem Modell 2011 eine klare Regelung zur "Meldung von Umständen (Notice of circumstances)":
Zitat
A-5.4 Meldung von Umständen (Notice of Circumstance)
Der Versicherungsnehmer und die versicherten Personen haben die Möglichkeit, dem Versicherer während der Laufzeit des Vertrags konkrete Umstände in Textform zu melden, die eine Inanspruchnahme der versicherten Personen hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen.
Kündigt der Versicherer das Versicherungsverhältnis, kann zudem eine Meldung solcher Umstände innerhalb einer Frist von … Tagen nach Ende des Vertrags erfolgen. Die Meldung von Umständen innerhalb dieser Frist von … Tagen nach Ende des Vertrags ist jedoch nicht möglich, wenn der Versicherungsvertrag aufgrund Zahlungsverzugs beendet worden ist.
Im Fall einer tatsächlichen späteren Inanspruchnahme, die aufgrund eines gemeldeten Umstandes spätestens innerhalb einer Frist von … Jahren erfolgen muss, gilt die Inanspruchnahme als zu dem Zeitpunkt der Meldung der Umstände erfolgt.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Meldung ist der Zugang beim Versicherer.
Rz. 97
Die Aufnahme einer Klausel zur Umstandsmeldung in den Modelbedingungen ab dem Jahre 2011 ist eine konkrete Konsequenz aus der ab 2009 geführten Diskussion um die Frage der wirksamen Ausgestaltung des sog. claims-made-Prinzips, hervorgerufen nicht zuletzt auch durch die Grundsatzentscheidung des OLG München, in dem die Umstandsmeldung explizit angeführt worden ist und vom OLG als "Kompensationselement" für wichtig erachtet wurde. Insofern besteht zwischen dem claims-made-Prinzip an sich, der Rückwärtsversicherung und der Nachmeldefrist ein Gesamtzusammenhang, auch bezüglich der sog. Umstandsmeldungen. Daher sei auf den Leitsatz des OLG München verwiesen, in dem es heißt:
Zitat
"Die grundsätzlichen Nachteile des claims-made-Prinzips werden durch die Regelungen über die unbegrenzte Rückwärtsdeckung, die vereinbarte Nachhaftungszeit und die Möglichkeit einer Umstandsmeldung bei Vertragsbeendigung durch Kündigung des Versicherers ausreichend kompensiert, so dass die Klauseln insgesamt einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhalten."
Rz. 98
Bisweilen soll die Möglichkeit einer Umstandsmeldung entfallen – im Falle der Insolvenz der Versicherungsnehmerin oder aber, wenn der Versicherer den Vertrag, z.B. wegen Zahlungsverzugs oder aus sonstigen Gründen gekündigt hat. In Ziff. A-5.4 Abs. 1 AVB-D&O wird eine Kombination dahingehend gewählt, dass die Versicherungsnehmerin und die versicherten Personen die Möglichkeit haben, dem Versicherer während der Laufzeit des Vertrags konkrete Umstände zu melden, die eine Inanspruchnahme der versicherten Personen hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen.
Die Frage, die sich juristisch aufdrängt, ist unter anderem auch die, ob und inwieweit jede Art der Meldung bereits Wirkungen entfaltet. Nach Ziff. A-5.4 AVB-D&O wäre dies meines Erachtens der Fall. Aus Sicht des Versicherers wäre es möglicherweise nicht falsch, konkrete – über eine ein bloße Textform hinausgehende – Bedingungen an eine wirksame Umstandsmeldung zu stellen. Versicherer könnten die Wirksamkeit der Umstandsmeldung etwa durch Vereinbarung in einem D&O-Vertrag auch davon abhängig machen, dass die Umstände, die bekannt sind, möglichst genau die Tatsachen enthalten, die den Sachverhalt umschreiben oder auch Gründe benennen, die die Erhebung von Ansprüchen tatsächlich auch vermuten lassen. Da das Modell des GDV jedoch diesen Ansatz nicht wählt, bedarf diese Frage hier keiner weitergehenden Vertiefung.
Rz. 99
Kündigt der Versicherer das Versicherungsverhältnis, kann zudem eine Meldung solcher Umstände innerhalb einer Frist von "… Tagen" nach Ende des Vertrags erfolgen. Die Meldung von Umständen innerhalb dieser Frist nach Ende des Vertrags ist jedoch nicht möglich, wenn der Versicherungsvertrag aufgrund Zahlungsverzugs beendet worden ist.
Im Fall einer tatsächlichen, späteren Inanspruchnahme, die aufgrund eines gemeldeten Umstands spätestens innerhalb der vereinbarten Frist erfolgen muss, gilt die Inanspruchnahme als zu dem Zeitpunkt der Meldung der Umstände erfolgt (vgl. Ziff. A-5.4 Abs. 3 AVB-D&O).