Rz. 66
Nach Ziff. A-1 AVB-D&O sind versichert schadensersatzauslösende Pflichtverletzungen, die die im Einzelnen zitierten versicherten Personen "bei Ausübung dieser Tätigkeit" begangen haben. Bei einem Vorstand, oder – allgemeiner formuliert – bei einem Organmitglied, sind alle die Tätigkeiten im Rahmen der Ziff. A-1 AVB-D&O erfasst, die es tatsächlich im Rahmen der ihm zugewiesenen Funktion als Organ wahrgenommen hat. Der Begriff selbst wird in den Bedingungswerken in der Regel nicht definiert. Er ist daher auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Mit der "Tätigkeit" sind zunächst einmal die aufgrund des Gesetzes zugewiesenen Tätigkeiten gemeint. Darüber hinaus können sich aus der Satzung bzw. aus dem Gesellschaftsvertrag weitere konkrete Aufgaben, ggf. auch im Rahmen einer Geschäftsordnung ergeben, die den Tätigkeitsbereich des Organs ausdehnen oder einschränken. Schließlich können sich die Aufgaben und Pflichten, also der Tätigkeitsumfang von Organmitgliedern auch aus dem zugrunde liegenden Dienstvertrag ableiten lassen. Nach den einschlägigen Normen des GmbH-Gesetzes gehört es bekanntlich zu den Aufgaben der Geschäftsführer ferner, Weisungen zu befolgen.
Entscheidend ist der Begriff der sog. Pflichtverletzung. Ziff. A-1 AVB-D&O stellt auf die "begangene Pflichtverletzung" ab, wie die ganz überwiegende Mehrzahl der auf dem Markt befindlichen D&O-Policen. Mit der Aufnahme dieser Voraussetzung in Ziff. A-1 AVB-D&O weichen die D&O-Bedingungen im Modell aber sowohl von Ziff. 1 AHB als auch von § 1 AVB-Vermögen ab. In den AVB-Vermögen ist enthalten § 5 Ziff. 1, der den Versicherungsfall bestimmt nach dem "Verstoß". Versteht man die "Pflichtverletzung" in Ziff. A-1 des Modells und § 5 Ziff. 1 AVB-Vermögen inhaltsgleich, so wird der Deckungsschutz der D&O-Versicherung nicht entscheidend eingeschränkt. Denn nach in der Literatur vertretener Auffassung versteht man unter dem dortigen Verstoß (in § 5 Ziff. 1 AVB-Vermögen) vor allem das "verursachende Geschehen" bzw. das "haftungsauslösende Verhalten" der versicherten Person. Sofern jedoch eine Einschränkung als weitere Voraussetzung durch die Einführung der Terminologie "Pflichtverletzung" gewollt sein würde, stellt sich dann allerdings die Frage, inwieweit dies – durch den Wortlaut und nach Sinn und Zweck der Regelung – geschehen kann. Abzustellen ist bei der Auslegung auf den Empfängerhorizont des durchschnittlichen Versicherungsnehmers. Dieser dürfte – bei laienhaftem Verständnis – ohnehin davon ausgehen, dass auch Schadensersatzansprüche in der Regel Pflichtverletzungen voraussetzen (vgl. § 280 Abs. 1 BGB bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 34 Abs. 2 GenG). Sofern eine zusätzliche Komponente – mit dem Merkmal "Pflichtverletzung" – in dem Modell gewollt sein würde, müsste sich dies klarer ergeben. In der Literatur wird deshalb häufig die Auffassung vertreten, dass in der Bezugnahme auf die Pflichtverletzung eben keine besondere – zusätzliche – Deckungsvoraussetzung gesehen werden soll.
Ein Einwand der Versicherer ist – wenngleich nur selten – der, dass die Unternehmensleiter nicht hinsichtlich des operativen Tagesgeschäfts versichert sind: Mit dieser Begründung – so wird in der versicherungsrechtlichen Literatur hervorgehoben – würden einige Versicherer beispielsweise Bankvorständen den Versicherungsschutz z.B. bei fehlerhaften Kreditvergaben versagen. Fraglich ist – im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des US-Hypothekenmarktes – etwa auch, ob auch riskante Geschäfte (Swaps; Derivatgeschäfte), die nicht generell verboten waren und nicht unter den Spekulationsausschluss fallen, zu den versicherten "Tätigkeiten" eines Organmitglieds gehören; Zweifel sind wohl jedenfalls angebracht bei Geschäften, die sogar existenzgefährdende Liquiditätskrisen hervorrufen und die nur durch Sicherungsfonds in Milliardenhöhe abgewendet werden können. Ob dieser Argumentation von Gerichten gefolgt werden würde, ist nicht abschließend zu beurteilen.