Rz. 42
Im Zusammenhang mit etwaigen Inanspruchnahmen von Unternehmensleitern ist der haftungsrechtlich relevante Terminus des Vermögensschadens i.S.d. §§ 249 ff. BGB von dem sog. deckungsrechtlichen Terminus "Vermögensschaden" zu unterscheiden. Haftungs- und Deckungsrecht können durchaus unterschiedliche Begrifflichkeiten enthalten. Haftungsrechtlich betrachtet stellen die Haftungsnormen, nach denen Organe in Anspruch genommen werden können, etwa § 93 AktG, auf die §§ 249 ff. BGB ab. Bisweilen wird von Teilen der Literatur allerdings nicht einfach auf § 249 BGB verwiesen, sondern hervorgehoben, dass nicht jede Vermögensminderung i.S.d. §§ 249 ff. BGB bereits ein Vermögensschaden i.S.d. AktG sei, sondern nur derjenige, der dem Unternehmenszweck widerspreche. Beide Definitionen aber ("Unternehmenszweck" und "Widerspruch") sind für sich genommen sehr unscharf und daher meines Erachtens zu weiterer Strukturierung wohl eher nicht geeignet.
Einen Sonderfall stellen etwaig von den Unternehmen zu tragende Geldbußen, z.B. für Schmiergeld zahlende Unternehmen, und/oder auch Gewinnabschöpfungen durch Geldbußen dar. Für kartellrechtliche Bußgelder hat das OLG Düsseldorf jüngst entschieden, dass Vorstand und Geschäftsführer nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmen haften. Verbandsgeldbußen nach deutschem Kartellrecht seien von der Organhaftung auszunehmen und die Organhaftung nach § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG insoweit teleologisch zu reduzieren. Die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG setzt zwingend die Anknüpfungstat einer für den Verband handelnden Leitungsperson voraus. Der Gesetzgeber habe klar vor Augen gehabt, dass denknotwendig mindestens zwei Rechtsträger – eine Leitungsperson und die Gesellschaft – als Sanktionsadressaten in Betracht kommen. Wenn der Gesetzgeber in dieser Situation anordnet, dass beide Parteien bebußt werden können und sollen, und zwar jede nach auf sie individuell abgestimmten Bemessungsfaktoren, handele es sich dabei um eine Sanktionsregelung, die speziell auf diesen besonderen Fall der Verantwortlichkeit Mehrerer zugeschnitten ist. Diese Wertung dürfe nicht durch den Rekurs auf die allgemeine Organhaftung unterlaufen werden. Zudem liefe die Sanktionswirkung einer Geldbuße gegen das Unternehmen faktisch leer, wenn eine D&O-Versicherung und damit letztlich die Versichertengemeinschaft den Schaden vollständig trüge. Bei Geldbußen (zu deckungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Geldbußen siehe auch Rdn 46 und 141) ist – haftungsrechtlich betrachtet – zudem zwischen dem sog. Gewinnabschöpfungs- und sog. Ahndungsteil zu unterscheiden. § 17 Abs. 4 OWiG enthält eine Klarstellung dahingehend, dass die Geldbuße aus zwei Teilen besteht (sog. Doppelcharakter der Geldbuße); es handelt sich dennoch um eine Geldbuße, die eben einheitlich ausgesprochen wird. Wenn haftungsrechtlich differenziert wird, ist jedenfalls aber der Gewinnabschöpfungsteil in der Regel kein Schaden i.S.d. § 249 BGB, weil der Gewinn bei pflichtgemäßem Verhalten der Vorstände gar nicht erst entstanden wäre. Der Ahndungsteil könnte – haftungsrechtlich betrachtet – zwar im Zweifel ein Schaden i.S.d. §§ 249 ff. BGB sein; dieser ist dann jedoch nicht zwingend – auch nicht haftungsrechtlich – ersatzfähig: Im Zweifel fehlt es dann im Rahmen einer Fahrlässigkeitstat des Organs an der Zurechenbarkeit. Zudem soll der Sanktionierte die Sanktion nicht durch Abwälzung auf Dritte unterlaufen können (venire contra factum proprium, § 242 BGB).
Rz. 43
Nicht zuletzt nach den §§ 249 ff. BGB muss sich die geschädigte Gesellschaft – haftungsrechtlich gesprochen – aber unter Umständen ohnehin bestimmte Vermögenspositionen – und sei es im Wege der Vorteilsausgleichung – anrechnen lassen. Beim Thema Vorteilsausgleich ist allerdings fraglich, ob eine Anrechnung für solche Vorteile (z.B. Gewinn) erfolgen kann, die aufgrund von Schmiergeldzahlungen erzielt worden sind. Diese Thematik wird im Schrifttum vor allem unter dem Begriff "nützliche Pflichtverletzungen" diskutiert.
Ein Teil der Rechtsprechung und eine Mindermeinung hält in nahezu allen Fällen einen Vorteilsausgleich für ausgeschlossen mit dem Hauptargument, dass der Gesellschaft ein pflichtwidrig eingegangenes Geschäft unter keinen Umständen aufgedrängt werden dürfe. Nach anderer Ansicht ist die Vorteilsausgleichung jedenfalls dann zulässig, wenn dies hinsichtlich des Sinns und des Zwecks der verletzten Pflicht nicht ausgeschlossen ist oder wenn im Einzelfall Zumutbarkeitserwägungen greifen. Richtigerweise sollte stets eine Vorteilsausgleichung stattfinden, schon um Forderungsgeltendmachung und Aufrechnung etc. zu vermeiden. Ist der Gesellschaft etwas (pflichtwidrig) zugeflossen, ist dies im Wege der Vorteilsausgleichung daher anzurechnen.
Rz. 44
Ungeachtet davon ist der "deckungsrechtliche Vermögensschadenbegriff" zu betrachten, wobei durchaus eine "Deckungslücke" zwischen dem eingetretenen und haftungsrech...