Rz. 37
Noch vor Inkrafttreten des VVG 2008 kam es zu Fällen, in denen Unternehmen versuchten, gegenüber Organmitgliedern bestehende Innenhaftungsansprüche direkt gegenüber dem D&O-Versicherer geltend zu machen, ohne – vorab – den Anspruch gegen das Organmitglied zu richten. Mit der Frage, ob und inwieweit ein "direkter Zahlungsanspruch" der Versicherungsnehmerin gegen einen D&O-Versicherer (ungeachtet jedweder Abtretung) besteht, hatten sich zunächst ab 2005 zwei Oberlandesgerichte und vier Landgerichte beschäftigt. Am 15.3.2005 entschied das OLG München, dass dem Unternehmen, also der Versicherungsnehmerin, gegenüber dem Versicherer kein sog. Direktanspruch zusteht. Dies wurde ganz überwiegend mit den Auswirkungen des sog. Trennungsprinzips begründet, also der grundlegenden Differenzierung zwischen dem Haftpflicht- und Deckungsverhältnis. Danach ist die Haftungsfrage im Haftpflichtverhältnis zwischen Versicherungsnehmerin und geschädigtem Dritten zu klären und im Deckungsverhältnis ist zu entscheiden, ob Versicherungsschutz vom Versicherer zu gewähren ist. Dieses Prinzip gelte auch bei der "Versicherung für fremde Rechnung".
Die D&O-Versicherung sei eine Haftpflichtversicherung für "fremde Rechnung" (siehe Rdn 26 ff.) i.S.d. § 100 ff. VVG und der §§ 43 ff. VVG (2008). Somit nehme die Versicherungsnehmerin regelmäßig die Stellung eines "Dritten" i.S.d. § 100 VVG ein, der – wie eben typisch für Haftpflichtversicherungen – nicht in den Schutzbereich solcher Versicherungen einbezogen sei. Entsprechend wird aus dem Trennungsprinzip für die D&O-Versicherung gefolgert, und zwar ganz generell, dass der Anspruchsteller keinen Direktanspruch gegen den Versicherer, sondern nur gegen die versicherte Person (also z.B. gegen einen ehemaligen Vorstand) hat.
Folglich erwirbt der geschädigte Dritte in Fällen, in denen ihm das Gesetz keinen Direktanspruch gegen die Versicherung einräumt (wie z.B. anders in § 3 Nr. 1 PflVG im Rahmen der Kfz-Versicherung), einen Zahlungsanspruch gegen den Versicherer allenfalls (siehe auch Rdn 173), wenn er den Befreiungsanspruch des Versicherten bzw. Versicherungsnehmers pfänden und sich überweisen lässt und/oder ggf. die Versicherungsnehmerin als Geschädigte bei einer Abtretung.
Rz. 38
In der Literatur wird vereinzelt, zum Teil mit nicht unbeachtlichen Argumenten, die Ansicht der Rechtsprechung angegriffen. Das strikte Trennungsdogma verstelle die Einsicht, dass die einseitige dogmatische Einordnung als Versicherung eines fremden Interesses im eigenen Namen eine "rechtlich komplizierte Erklärung für die Anspruchsberechtigung des Versicherungsnehmers aus der von ihm zum Schutze seines eigenen Vermögens genommenen Haftpflichtversicherung" sei. Die D&O-Versicherung werde im ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse des Unternehmens abgeschlossen. Ihm unter diesen Umständen einen eigenen Anspruch gegen den D&O-Versicherer zu verwehren, sei dogmatisch nicht nachvollziehbar; die Notwendigkeit im Konfliktfall ggf. zwei Prozesse sukzessive führen zu müssen – statt einen gemeinsamen Prozess gegen die ihre Schuld bestreitenden Versicherten und den Versicherer – sei nicht zu begründen.
Rz. 39
Diese Auffassung geht davon aus, das "strikte Trennungsprinzip" sei bloß eine Nachwirkung versicherungsdogmatischer Begriffsjurisprudenz und von der Prämisse, dass die D&O-Versicherung im ganz überwiegenden Interesse des Unternehmens abgeschlossen wird. Dem Trennungsprinzip ist aber – jedenfalls solange man der bisherigen Rechtsprechung folgt – weiterhin Bedeutung beizumessen. Dem Versicherer würden ansonsten wesentliche Gestaltungsspielräume von vornherein und ohne Not entzogen. Ein Grund dafür ist nicht ersichtlich, zumal sich der Versicherungsnehmer ein eigenständiges Recht zur Klage auf die Versicherungsleistung in Form eines Direktanspruches durchaus vertraglich einräumen lassen kann (vgl. auch Rdn 173).