Rz. 118
Im Zusammenhang mit dem Pflichtteilsrecht, das sich, wie festgestellt, nach dem Erbstatut richtet, können folgende Probleme auftreten:
a) Kein Pflichtteilsrecht in der ausländischen Rechtsordnung
Rz. 119
Viele Rechtsordnungen vor allem im anglo-amerikanischen Rechtskreis kennen kein Pflichtteilsrecht (Ausnahme: Louisiana und Puerto Rico). Hinterlässt z.B. ein US-Amerikaner bewegliches Vermögen in Deutschland, stünde seinen Abkömmlingen kein Pflichtteilsanspruch zu. Hier stellt sich die Frage, ob diesem Ergebnis der ordre public entgegensteht. Der BGH hat dies nunmehr für eine spezielle Fallkonstellation entschieden:
BGH NJW 2022, 2547:
Zitat
Die Anwendung des gem. Art. 22 Abs. 1 EuErbVO gewählten englischen Erbrechts verstößt jedenfalls dann gegen den deutschen ordre public im Sinne von Art. 35 EuErbVO, wenn sie dazu führt, dass bei einem Sachverhalt mit hinreichend starkem Inlandsbezug kein bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch eines Kindes besteht.
Offengelassen hat diese Frage der OGH Wien:
Zitat
Es verstößt im Allgemeinen nicht gegen den österreichischen ordre public, wenn das von der EuErbVO berufene Erbrecht keine vom Bedarf unabhängigen Pflichtteilsansprüche von Nachkommen vorsieht. Ob dies auch zutrifft, wenn der Sachverhalt eine besonders enge Beziehung zum Inland aufweist, bleibt offen.
Ausdrücklich verneint wurde ein Verstoß gegen den ordre public vom OLG Köln – allerdings in einem besonders gelagerten Fall – ohne nähere Begründung mit bloßem Hinweis auf RG JW 1912, 22.
In der Literatur wird teilweise differenziert: Grundsätzlich ist die Versagung des Pflichtteilsrechts durch die ausländische Rechtsordnung zu respektieren, eine Ausnahme soll jedoch dann gelten, wenn der Pflichtteilsberechtigte der deutschen Sozialhilfe zur Last fallen würde. Andere halten es "für nicht mehr hinnehmbar", den Pflichtteil zu Lasten eines minderjährigen oder bedürftigen Kindes zu entziehen, es sei denn, dass eine Kompensation – etwa durch Unterhaltsansprüche wie im englischen Recht – erfolgt.
b) Nachlassspaltung
Rz. 120
Kommt es zu einer Nachlassspaltung, z.B. weil die ausländische Rechtsordnung das bewegliche Vermögen dem Recht des letzten Domizils und das unbewegliche Vermögen dem Recht des Belegenheitsstaates (lex rei sitae) unterwirft, sind Teilnachlässe nach der entsprechenden Rechtsordnung zu bilden. Zwei Grundkonstellationen sind problematisch:
aa) Kumulierung von Erb- und Pflichtteilsrecht
Rz. 121
Beispiel
Ein deutscher Erblasser vermacht einem Pflichtteilsberechtigten ein Grundstück in den USA und schließt ihn hinsichtlich des in Deutschland belegenen Nachlasses von der Erbfolge aus.
Fraglich ist dabei, ob der Pflichtteilsberechtigte hier hinsichtlich des deutschen Nachlasses den Pflichtteil geltend machen kann. Entschieden wurde diese Problematik für österreichisches Recht dahin gehend, dass "auch der Wert des dem Kläger zukommenden beweglichen Nachlasses der Erblasserin und dessen rechtliches Schicksal berücksichtigt werden" muss. Letztlich wird wohl eine Gesamtbetrachtungsweise vorzunehmen sein.
bb) Kollisionsrechtliche Mangelfälle
Rz. 122
Beispiel
Ein deutscher Erblasser hinterlässt umfangreichen Immobilienbesitz in den USA. Pflichtteilsanspruch des Abkömmlings?
Diese Frage wird teilweise mit einer entsprechenden Anwendung des § 2325 BGB (Pflichtteilsergänzungsanspruch) beantwortet. Eine Klärung durch die Rechtsprechung ist noch nicht erfolgt.
c) Geltendmachung des Pflichtteilsrechts
Rz. 123
Auch die Art und Weise der Geltendmachung des Pflichtteilsrechts richtet sich nach dem Erbstatut. Auch die Verjährung des Anspruchs, sein Erlass sowie der Pflichtteilsverzicht bestimmen sich nach dem Erbstatut.
aa) Typischer Sachverhalt
Rz. 124
Im Januar 2021 verstarb in Traunstein eine Amerikanerin unter Hinterlassung von unbeweglichem Vermögen in Deutschland. In einem privatschriftlichen Testament aus dem Jahr 1997 hatte sie ihren Ehemann, der nunmehr in Deutschland lebt, zum alleinigen Erben eingesetzt. Ihr letzter gewöhnlicher Aufenthalt war in Los Angeles. Das IPR Kaliforniens sieht vor, dass bewegliches Vermögen nach dem Recht des Staates vererbt wird, in dem der Erblasser sein letztes "domicile" hatte, unbewegliches Vermögen vererbt sich nach der lex rei sitae. Der Sohn als einziger Abkömmling klagt seinen Pflichtteilsanspruch gegen den in Deutschland lebenden Vater ein.
bb) Muster: Stufenklage eines Pflichtteilsberechtigten auf Auskunft und Zahlung gegen den Erben bei amerikanischer Staatsangehörigkeit der Erblasserin
Rz. 125
Muster 24.7: Stufenklage eines Pflichtteilsberechtigten auf Auskunft und Zahlung gegen den Erben bei amerikanischer Staatsangehörigkeit der Erblasserin
Muster 24.7: Stufenklage eines Pflichtteilsberechtigten auf Auskunft und Zah...