I. Allgemeines
Rz. 128
Bei dem Europäischen Nachlasszeugnis (nachfolgend: ENZ) handelt es sich um einen Rechtsnachweis sui generis, der in den meisten Mitgliedstaaten der Union einheitliche Rechtswirkungen entfaltet (Art. 62–73 EuErbVO). Dadurch, dass fast alle Mitgliedstaaten das ENZ als Nachweis der Stellung des Erben oder des Vermächtnisnehmers bzw. der Befugnisse als Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter nunmehr anerkennen, liegt eine erhebliche Erleichterung bei grenzüberschreitenden Erbfällen. Ein weiteres Verfahren ist nicht mehr erforderlich, so dass damit dieser Erbnachweis die Abwicklung des Nachlasses in der gesamten Europäischen Union regelt (mit Ausnahme von Irland, Dänemark und des Vereinigten Königreichs). Unberührt bleiben bilaterale Abkommen der Mitgliedstaaten (Art. 75 Abs. 1 EuErbVO). Die EuErbVO gilt unmittelbar (Art. 288 Unterabs. 2 AEUV). Sie wird ergänzt durch zahlreiche Formblätter, die die Kommission auf Grundlage von Art. 80 EuErbVO erarbeitet hat. Der deutsche Gesetzgeber hat zur Durchführung das "Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften" geschaffen, das zum 17.8.2015 in Kraft getreten ist.
Rz. 129
Das ENZ ist zur Verwendung durch Personen bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte ausüben wollen (Art. 63 Abs. 1 EuErbVO). Die Verwendung des Zeugnisses ist nicht verpflichtend; es tritt nicht an die Stelle der nationalen Erbnachweise (deutscher Erbschein) und will diese auch nicht verdrängen (Art. 62 Abs. 2 und 3 S. 1 EuErbVO).
II. Internationale Zuständigkeit und anwendbares Verfahrensrecht
Rz. 130
Die internationale Zuständigkeit für die genannten Verfahren ist in der EuErbVO geregelt. Hier gelten die Art. 4 ff. EuErbVO. Ein rügeloses Einlassen ist nicht möglich, da Art. 64 EuErbVO nicht auf Art. 9 EuErbVO verweist. Regelmäßig ist daher die Behörde des Mitgliedstaats international zuständig, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Art. 4 EuErbVO.
Rz. 131
In Deutschland regelt § 33 IntErbRVG den Anwendungsbereich des Gesetzes für das ENZ. Demnach gilt der 5. Abschnitt des IntErbRVG sowohl für Verfahren über die Ausstellung, Berichtigung, Änderung oder den Widerruf des ENZ als auch über die Erteilung einer beglaubigten Abschrift eines ENZ oder die Verlängerung der Gültigkeitsfrist einer beglaubigten Abschrift als auch über die Aussetzung der Wirkungen eines ENZ. Was die anzuwendenden Verfahrensvorschriften anbelangt, bestimmt § 35 Abs. 1 IntErbRVG, dass die Vorschriften des FamFG Anwendung finden. Vorrangig sind aber die Verfahrensvorschriften der EuErbVO zu beachten. § 35 Abs. 2 IntErbRVG sieht vor, dass das Nachlassgericht bei Anträgen, die nicht in deutscher Sprache abgefasst sind, eine Übersetzung verlangen kann, § 184 S. 1 GVG. Für die Unterrichtung der Berechtigten durch öffentliche Bekanntmachung verweist § 35 Abs. 3 IntErbRVG auf die §§ 435–437 FamFG. Insoweit ist eine Frist von mindestens sechs Wochen vorgesehen.
III. Sachliche Zuständigkeit
Rz. 132
§ 34 IntErbRVG regelt die örtliche und die sachliche Zuständigkeit. Nach § 34 Abs. 4 IntErbRVG ist das Amtsgericht als Nachlassgericht sachlich ausschließlich zuständig. Sind nach landesgesetzlichen Vorschriften für die Aufgaben des Nachlassgerichts andere Stellen als Gerichte zuständig, so sind diese ausschließlich zuständig, § 34 Abs. 4 S. 4 IntErbRVG.
IV. Örtliche Zuständigkeit
Rz. 133
Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit greift § 34 Abs. 1 und 2 IntErbRVG die Fälle auf, in denen die EuErbVO der Sache nach nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit festlegt. § 34 Abs. 3 S. 1 IntErbRVG bestimmt die örtliche Zuständigkeit in Anlehnung an die allgemeine internationale Zuständigkeitsregel des Art. 4 EuErbVO und knüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes an. Hatte der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland, ist das Gericht örtlich ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Hatte der Erblasser keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, ist das Amtsgericht Schöneberg in Berlin örtlich ausschließlich zuständig. Entsprechend der Regelung des § 343 Abs. 3 FamFG kann das Amtsgericht Schöneberg die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Nachlassgericht verweisen.
V. Antrag
Rz. 134
Für den Antrag auf Ausstellung des ENZ verweist § 36 Abs. 1 IntErbRVG auf Art. 65 EuErbVO. Auch hat der Antragsteller vor Gericht oder vor einem Notar an Eides statt zu versichern, dass ihm nichts bekannt sei, was der Richtigkeit seiner Angaben zur Ausstellung des ENZ entgegensteht, § 36 Abs. 2 IntErbRVG. Das Nachlassgericht kann dem Antragsteller die Versicherung erlassen, wenn es sie nicht für erforderlich erachtet. Diese Regelung entsprich...