1. Allgemeines
Rz. 85
Im deutschen Erbrecht spielt das eheliche Güterrecht eine entscheidende Rolle für die Erbquote, § 1931 Abs. 1, 3, 4 BGB. Das Erb- und das Güterrechtsstatut können aber auseinanderfallen. Ursache dafür können unterschiedliche gewöhnliche Aufenthalte der Ehegatten, gemischt-nationale Ehen, ein Wechsel der Staatsangehörigkeit nach der Heirat (nach altem Recht) oder eine Rechtswahl sein.
Bestehen – wie im deutschen Recht – Vorschriften, die bestimmen, dass die eheliche Gemeinschaft nach dem Tod eines Ehegatten güterrechtlich auseinanderzusetzen ist, stellt sich die Frage, ob diese Regelungen erb- oder güterrechtlich zu qualifizieren sind. Erb- und Güterrechtsstatut können vor allem deshalb divergieren, weil bezüglich des anwendbaren Güterrechts an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten oder deren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der Eheschließung angeknüpft wird, Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1, 2 EGBGB in der bis 28.1.2019 geltenden Fassung.
Auch können die Ehegatten das Güterrechtsstatut durch Rechtswahl bestimmen, Art. 15 Abs. 2 EGBGB in der bis 28.1.2019 geltenden Fassung bzw. Art. 22 EuGüVO.
2. Ermittlung des anwendbaren Güterrechts
Rz. 86
Nachdem Art. 15 EGBGB in der bis 28.1.2019 geltenden Fassung. in der Zeit vom 1.9.1986 bis 28.1.2019 galt, stellt sich die Frage, wie das anwendbare Güterrecht in den Fällen ermittelt wird, in denen die Ehe schon früher geschlossen wurde (Übergangsrecht bei Altehen).
a) Eheschließung vor dem 1.4.1953
Rz. 87
Für Ehen, die vor dem 1.4.1953 geschlossen wurden, bleibt es bei der Anwendung des Art. 15 EGBGB in der bis 28.1.2019 geltenden Fassung., wobei eine Rechtswahl möglich ist, Art. 220 Abs. 3 S. 6 EGBGB. Allerdings ist eine verfassungskonforme Auslegung geboten.
b) Eheschließung ab dem 1.9.1986
Rz. 88
Bei Ehen, die ab dem 1.9.1986 geschlossen wurden, gilt Art. 15 EGBGB in seiner bis zum 28.1.2019 geltenden Fassung.
c) Eheschließung zwischen dem 9.4.1983 und dem 31.8.1986
Rz. 89
Für den Zeitraum vom 9.4.1983 bis zum 31.8.1986 ist Art. 15 EGBGB in der bis 28.1.2019 geltenden Fassung ebenfalls – rückwirkend – anwendbar, Art. 220 Abs. 3 S. 5 EGBGB. Das Datum 8.4.1983 ergibt sich daraus, dass an diesem Tag die Entscheidung des BVerfG, in der Art. 15 EGBGB a.F. mit Gesetzeskraft für nichtig erklärt wurde, bekannt wurde.
d) Eheschließung zwischen dem 1.4.1953 und dem 8.4.1983
Rz. 90
Problematisch ist der Zeitraum vom 1.4.1953 bis zum 8.4.1983. Hierfür stellt Art. 220 Abs. 3 EGBGB eine eigene Kollisionsnorm dar. Dabei ist eine "Anknüpfungsleiter" zu prüfen, Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 1–3 EGBGB. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Verfassungsmäßigkeit der Hilfsanknüpfung nach Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EGBGB. Der BGH hält sie für verfassungskonform. Auch die Rückwirkung in Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EGBGB wird für unbedenklich erachtet.
3. Sonderregelung für Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler
Rz. 91
Für volksdeutsche Vertriebene ist das Gesetz über den ehelichen Güterstand von Vertriebenen und Flüchtlingen (VFGüterstandG) zu beachten. Zwar gilt für Personen, die nach §§ 1–4 BVFG (Bundesvertriebenengesetz) unter den dort festgelegten Begriff des Vertriebenen fallen, im Hinblick auf die ausländische Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Eheschließung grundsätzlich das ausländische Güterstatut. Dieser Güterstand wird aber nach einem dreimonatigen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland in den gesetzlichen deutschen Güterstand übergeleitet, § 3 i.V.m. § 1 VFGüterstandG. Dabei hat jeder Ehegatte binnen Jahresfrist ein Widerspruchsrecht, § 4 VFGüterstandG. Unterbleibt ein Widerspruch, gilt deutsches Güterrecht.
Für Spätaussiedler (Personen, die erst nach dem 1.1.1993 ihre Heimat verlassen haben, § 4 BVFG) gilt diese Regelung nicht unmittelbar. Jedoch neigt die h.M. zu einer analogen Anwendung.
OLG Hamm, Beschl. v. 8.10.2009 – I-15 Wx 292/08: Gesetzlicher Güterstand von Aussiedlern aus der Russischen Föderation nach Übersiedlung nach Deutschland
Zitat
Art. 4 EGBGB nimmt die Rückverweisung an, die sich aus der kollisionsrechtlichen Bestimmung des am 1.3.1996 in Kraft getretenen Art. 161 Abs. 1 des russ. FGB (Wohnsitzanknüpfung des Güterstatuts) ergibt.
Dies gilt auch insoweit, als die geänderte ausländische Kollisionsnorm zu einer nachträglichen Wandelbarkeit des Güterstatuts nach Wegfall der nach deutschem Kollisionsrecht maßgeblichen Anknüpfungstatsachen führt.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.3.2011 – I-25 Wx 8/11: Wandelbarkeit des Güterrechtsstatuts aufgrund Rückverweisung (Sachverhalt betrifft einen deutschen Erblasser, der früher in Kasachstan geheiratet hatte)
Zitat
Trotz der grundsätzlichen Unwandelbarkeit des Güterrechts ist eine Rechtsänderung hinsichtlich des internationalen Privatrechts der durch die deutschen Kollisionsregeln in Bezug genommenen fremden Rechtsordnung zu berücksichtigen. Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB verweist als Gesamt...