1. Allgemeines
Rz. 109
Bei der Anwendung des IPR und damit ausländischen Rechts kann es zu Ergebnissen kommen, die einer Korrektur bedürfen. In Betracht kommen hierbei
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Anpassung, |
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ordre public, |
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Gesetzesumgehung (fraus legis). |
2. Anpassung
Rz. 110
Nachdem die jeweiligen Rechtsordnungen nicht aufeinander abgestimmt sind, kann es zu Ergebnissen kommen, die keine der jeweiligen Rechtsordnungen so vorsieht. Insbesondere kann es durch eine kombinierte Anwendung der Regelungen der jeweiligen Rechtsordnungen zu einem "Normenmangel" oder einer "Normenhäufung" kommen. Die Korrektur erfolgt mittels Anpassung bzw. Angleichung.
Rz. 111
Die EuErbVO sieht eine allgemeine Regelung zur Anpassung nicht vor, sondern kennt nur die speziellen Vorschriften der Art. 31–33 EuErbVO. Sind diese Vorschriften nicht einschlägig, hat die Anpassung kontextabhängig zu erfolgen, wobei grundsätzlich der sachrechtlichen Anpassung ein Vorrang vor der kollisionsrechtlichen Anpassung zukommt.
Problematisch sind hierbei etwa die unterschiedlichen Regelungen von güterrechtlichen Bestimmungen und Erbquoten.
3. Ordre public
a) Erbfälle bis zum 16.8.2015
Rz. 112
Führt die Verweisung in das ausländische Sachrecht, so ist dies nicht schrankenlos anwendbar:
Art. 6 EGBGB Öffentliche Ordnung (ordre public)
Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.
Art. 6 EGBGB will den "Kernbestand der inländischen Rechtsordnung" schützen. Aus der Vorschrift selbst ergibt sich ihr Ausnahmecharakter.
Rz. 113
Voraussetzung für die Anwendung des ordre public ist:
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Es muss ein "eklatanter Verstoß" gegen die deutschen Wertvorstellungen vorliegen – abzustellen ist auf das "Maß des Widerspruchs" –, |
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das Anwendungsergebnis muss im konkreten Fall unerträglich sein (Entscheidungserheblichkeit) und |
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der Sachverhalt muss eine Binnenbeziehung aufweisen ("Maß der Inlandsbeziehung"). |
Grundlegende Ausführungen zum ordre public enthält die sog. Spanier-Entscheidung des BVerfG.
Rz. 114
Wird ein Verstoß gegen den ordre public bejaht, wird die Anwendung der ausländischen Rechtsnorm für den Einzelfall ausgeschlossen. Das übrige ausländische Recht bleibt dagegen anwendbar. Lücken müssen durch ein Ersatzrecht, wobei als letzte Möglichkeit deutsches Recht bleibt, geschlossen werden.
Ein ausländischer ordre public ist grundsätzlich nicht zu beachten.
Rz. 115
Im Erbrecht ist eine Anwendung des Art. 6 EGBGB vor allem bei folgenden Fällen denkbar:
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schwerste Fälle der Erbunwürdigkeit, |
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Erbunfähigkeit der Religiösen, |
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Beschränkung der Testierfreiheit ausschließlich auf Zuwendungen an Organisationen der herrschenden Partei (in kommunistischen Erbgesetzen), |
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geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung weiblicher Erben, |
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Erbberechtigung mehrerer Ehefrauen. |
b) Erbfälle ab dem 17.8.2015
Rz. 116
Der ordre-public-Vorbehalt kommt dann in Betracht, wenn bei einer Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO auf das Heimatrecht verwiesen wird. Er ist in Art. 35 EuErbVO geregelt:
Art. 35 EuErbVO Öffentliche Ordnung (ordre public)
Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts eines Staates darf nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist.
4. Gesetzesumgehung (fraus legis)
Rz. 117
Möglich bleibt auch eine Ergebniskorrektur mit dem methodischen Mittel der fraus legis, welche aber nur in eng begrenzten Ausnahmenfällen in Betracht kommt.
Erforderlich ist:
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ein umgangener Rechtssatz, |
2. |
ein ergangener Rechtssatz, also eine Rechtsnorm, die aufgrund der Umgehungshandlung erfüllt ist, |
3. |
eine Umgehungshandlung, |
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eine Umgehungsabsicht, |
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ein Rechtsmissbrauch. |
5. Besonderheit: Pflichtteilsrecht
Rz. 118
Im Zusammenhang mit dem Pflichtteilsrecht, das sich, wie festgestellt, nach dem Erbstatut richtet, können folgende Probleme auftreten:
a) Kein Pflichtteilsrecht in der ausländischen Rechtsordnung
Rz. 119
Viele Rechtsordnungen vor allem im anglo-amerikanischen Rechtskreis kennen kein Pflichtteilsrecht (Ausnahme: Louisiana und Puerto Rico). Hinterlässt z.B. ein US-Amerikaner bewegliches Vermögen in Deutschland, stünde seinen Abkömmlingen kein Pflichtteilsanspruch zu. Hier stellt sich die Frage, ob diesem Ergebnis der ordre public...