Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 70
Eine weitere beachtliche Einschränkung enthält § 68 Abs. 3 FamFG:
Zitat
…
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug.
Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
Diese Regelung gilt in allen Beschwerdeverfahren – also nicht nur in Familienstreitverfahren.
Rz. 71
Nach der Gesetzesbegründung dient die Vorschrift der effizienten Nutzung gerichtlicher Ressourcen in der Beschwerdeinstanz. Hierdurch werden etwa unnötige doppelte Beweisaufnahmen verhindert; des Weiteren wird die Durchführung eines Termins entbehrlich, wenn die Sache bereits in der ersten Instanz im erforderlichen Umfang mit den Beteiligten erörtert wurde.
Rz. 72
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass diese Neuregelungen mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sind. Bei Absatz 3 Satz 2 handelt es sich um eine Ermessensvorschrift. Das Gericht hat die Vorschrift konform mit der EMRK auszulegen und bei der Ausübung des Ermessens auch die Rechtsprechung des EGMR hierzu zu beachten.
Rz. 73
Praxistipp:
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In der Praxis kann dies vor allem in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren problematisch sein. |
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Der Anwalt sollte daher darauf dringen, dass die auch in der zweiten Instanz grundsätzlich gebotene Anhörung der Beteiligten und des Kindes gem. §§ 159, 160 FamFG sowie des Jugendamtes gem. § 162 FamFG. |
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Dies kann durch den ausdrücklichen Hinweis untermauert werden, dass durch den zwischenzeitlichen Zeitablauf und die sich daraus naturgemäß ergebenden Veränderungen "von einer erneuten Vornahme zusätzliche Erkenntnisse" zu erwarten sind. |
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In Ehe- und Familienstreitsachen muss das Beschwerdegericht zuvor auf die beabsichtige Anwendung des § 68 Abs. 3 FamFG hinweisen (§ 117 Abs. 3 FamFG). Dabei sollten die tragenden Gründe für das beabsichtigte Vorgehen mitgeteilt und ein ausreichender Zeitraum für eine Stellungnahme zugebilligt werden. |
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Das Beschwerdegericht darf nicht von der Anhörung eines Beteiligten absehen, wenn in der Vorinstanz bei der Anhörung zwingende Verfahrensvorschriften verletzt worden sind. |
Rz. 74
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 2.3.2011 – 6 WF 222/10
Zitat
Nachdem bereits das Familiengericht die Beteiligten angehört hat, bedarf es keiner erneuten Erörterung im Beschwerdeverfahren. Hiervon sind insbesondere nach Lage der Dinge keine neuen entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten.