I. Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche
Rz. 42
Ein Vermögensgegenstand ist nach der Rechtsprechung des BSG verwertbar, wenn er verbraucht, übertragen und/oder belastet werden kann. Plastisch spricht das BSG auch vom Erfordernis, den Vermögensgegenstand "versilbern" zu können.
Ein (ordentlicher) Pflichtteilsanspruch nach § 2303 BGB ist "verbrauchbar" im Sinne von einziehbar, übertragbar (§ 2317 Abs. 2 BGB, §§ 398 ff. BGB) und daher auch pfändbar (§ 1274 BGB); mit anderen Worten: Er ist ein rechtlich verwertbarer Vermögensgegenstand. Gleiches gilt auch für Pflichtteilsrestansprüche nach §§ 2305, 2307 Abs. 1 S. 2 BGB und den Pflichtteilsergänzungsanspruch nach §§ 2325 Abs. 1, 2329 Abs. 1 BGB.
Rz. 43
Er kann jedoch im Einzelfall unter Umständen (vorübergehend) nicht verwertbar sein, wenn etwa nach § 2338 BGB für den Pflichtteilsberechtigten Testamentsvollstreckung angeordnet ist oder soweit die Voraussetzungen für eine Pflichtteilsstundung i.S.d. § 2331a BGB erfüllt sind oder der Erbe zur zeitnahen Erfüllung des Pflichtteils außerstande ist. In diesen Fällen sind die Sozialleistungen regelmäßig nur darlehnsweise zu gewähren.
Rz. 44
Verwertbar ist ein Vermögensgegenstand nur, wenn dessen Verwertung einen positiven Nettoertrag erwarten lässt, der zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden kann und damit die Hilfebedürftigkeit (teilweise) vermeidet. Daran wird es bei der Verwertung des Pflichtteilsanspruchs (regelmäßig in der Form der schlichten Geltendmachung des Anspruchs) nur in Ausnahmefällen fehlen.
Rz. 45
Nach § 9 Abs. 4 SGB II gilt, dass Hilfebedürftigkeit zwar auch vorliegt, wenn der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist (oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde). Bei nur unter Verzögerungen möglicher Realisierung von Vermögenswerten erfolgt die Hilfegewährung aber nicht als Zuschuss, sondern lediglich als Darlehen (§ 24 Abs. 5 SGB II).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben, ist ein Pflichtteilsanspruch verwertbar, wenn die Erben den Anspruch ohne Mühe erfüllen können oder der Berechtigte seinen Anspruch in angemessener Zeit durch Abtretung, Verkauf oder Verpfändung "versilbern" kann.
II. Ansprüche innerhalb der Erbengemeinschaft
Rz. 46
Die Ansprüche des Sozialleistungsträgers können niemals weiter gehen als die Ansprüche des Leistungsberechtigten. Dies hat zur Folge, dass der Sozialleistungsträger innerhalb der Erbengemeinschaft auf die Ansprüche des Miterben verwiesen ist. Bis zur Auseinandersetzung des Nachlasses bildet das Nachlassvermögen ein von dem sonstigen Vermögen des Miterben getrenntes Versorgervermögen aller Miterben. Das gesamthänderisch gebundene Vermögen wird daher zunächst nicht Eigenvermögen des Leistungsberechtigten, sodass dieses zunächst aus Sicht des Sozialleistungsträgers nicht verwertbar ist. Der Sozialleistungsträger wird jedoch zu prüfen haben, ob er Leistungen ab dem Erbfall nur noch darlehensweise gewährt.
Rz. 47
Einnahmen der Erbengemeinschaft, die gemäß § 2038 Abs. 2 S. 2 BGB zunächst der Gesamthand zustehen, sind bis zur abschließenden Auseinandersetzung für den Sozialleistungsträger ebenfalls nicht verwertbar. Eine Ausnahme hiervon gilt nur in den Fällen des § 2038 Abs. 2 S. 3 BGB, wenn der Miterbe zum Jahresende die Teilung des Reinertrages verlangen kann. Dies würde jedoch voraussetzen, dass die Teilung vom Erblasser für einen Zeitraum von länger als einem Jahr aufgeschlossen wurde. Eine lediglich verzögerte Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft begründet diesen Anspruch nicht.
Rz. 48
Der Anspruch auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft gemäß § 2042 Abs. 1 BGB, der dem Miterben zusteht, kann vom Sozialleistungsträger im Wege des Regresses geltend gemacht werden. Hierbei sind die Sozialleistungsträger an die Grundlagen der Nachlassauseinandersetzung gebunden. Es wäre jedoch denkbar, dass vom Sozialleistungsträger die Teilungsversteigerung zum Zwecke der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft betrieben wird, da auch vorbereitende Ansprüche durch den Sozialleistungsträger geltend gemacht werden können.
III. Ansprüche gegen den Testamentsvollstrecker
Rz. 49
Zu den nach § 33 SGB II/§ 93 SGB XII für den Sozialleistungsträger nutzbar zu machenden Ansprüchen gehört auch der Anspruch gegen den Testamentsvollstrecker auf ordnungsgemäße Verwaltung (§ 2216 BGB). Soweit dem Erben unmittelbar aus § 2219 BGB ein Haftungsanspruch gegen den Testamentsvollstrecker zusteht, kann der Sozialleistungsträger diesen auch geltend machen. Die Entlassung des Testamentsvollstreckers kann der Sozialleistungsträger hingegen nicht erwirken.
IV. Unzumutbarkeit der Verwertung
Rz. 50
Nach § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II nicht zu berücksichtigen sind jedoch Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde. Dagegen verlangt das Recht der Sozialhilfe in § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII lediglich das Vorliegen einer "einfachen" Härte, sodass hier womöglich geringere Anforderungen zu stelle...