I. Interessenlage
Rz. 53
Bei einem Behindertentestament handelt es sich um eine letztwillige Verfügung des Erblassers mit dem Ziel, dem mit dem Erbe Bedachten den Nachlass zukommen zu lassen, ohne dass dieser seinen Anspruch auf seine Sozialhilfeleistungen einzubüßen hat. Eine solche Verfügung von Todes wegen erfolgt in der Regel innerhalb der Familie.
Ein weiteres Ziel ist es, das Vermögen der Familie vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu schützen, so dass letzten Endes die gesamte Familie vom Nachlass profitieren kann.
Rz. 54
Zur Erreichung dieser Zwecke existieren je nach den Bedürfnissen der Betroffenen mehrere Lösungswege, von denen einige im folgenden Teil erörtert werden. Das Ziel, was all diesen Verfügungen gemein ist, ist es, dem Behinderten den Nachlass und die Erträge daraus zukommen zu lassen, ohne dass der Anspruch auf die Sozialhilfe entfallen würde oder der Sozialhilfeträger auf das Vermögen des Behinderten zugreifen kann. Für die rechtsgestaltende Beratung im Erbrecht gibt das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.2.2015 – B 14 KG 1/14 R – erstmals verlässliche Hinweise, wie die Vorgaben des Sozialhilferechts in der Praxis zu beachten sind.
II. Gestaltung des Testaments zugunsten von Menschen mit Behinderung
Rz. 55
Die Errichtung einer Verfügung zugunsten eines Kindes mit Behinderung ist von Seiten der Erblasser in der Regel von drei Interessen geprägt:
▪ |
Erhalt aller sozialrechtlichen Leistungsansprüche des Kindes mit Behinderung |
▪ |
Steigerung der Lebensqualität des Kindes mit Behinderung und |
▪ |
Erhalt des Familienvermögens. |
Abhängig von den jeweiligen Schwerpunkten der Erblasser ist die Gestaltung der Verfügung zugunsten eines Kindes mit Behinderung anzupassen. Insbesondere in der klassischen Gestaltung entsteht im 1. und 2. Erbfall eine Erbengemeinschaft, an der das Kind mit Behinderung mindestens oberhalb der Pflichtteilsquote beteiligt ist. Da ein Testamentsvollstrecker eingesetzt ist, dürfte die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft in der Praxis unproblematisch sein. Alternative Gestaltung, insbesondere die Vermächtnislösung, sind bisher nicht abschließend höchstrichterlich beschieden worden.
1. Klassische Gestaltung (Vor- und Nacherbfolge)
Rz. 56
Nacherbschaft und Dauertestamentsvollstreckung zugunsten des Kindes werden in beiden Erbfällen angeordnet. Würde der behinderte Abkömmling hier übergangen werden, entstünde diesem ein Pflichtteilsanspruch gem. § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB, der vom Sozialleistungsträger geltend gemacht werden könnte. Soll eine Beteiligung des Kindes mit Behinderung im 1. Erbfall vermieden werden, käme insoweit ein Pflichtteilsverzicht in Betracht. Soweit der gesetzliche Betreuer des Kindes mit Behinderung diesen Verzicht erklärt, bedarf dieser gemäß § 1851 BGB der Betreuung gerichtlichen Genehmigung.
Der Testamentsvollstrecker ist nach § 2216 Abs. 2 BGB anzuweisen, dem Behinderten aus dem Nachlass sozialleistungsunschädliche Zuwendungen zu machen.
Rz. 57
Muster in Ihr Textverarbeitungsprogramm übernehmen
Muster 24.1: Behindertentestament durch Vor- und Nacherbfolge
§ 4 Erbeinsetzung auf den ersten Todesfall
1. |
Der Erstversterbende von uns beruft zu seinen Erben unseren Sohn/unsere Tochter _________________________ und den überlebenden Ehegatten. Eine Nacherbfolge hinsichtlich des überlebenden Ehegatten findet nicht statt. Schlägt der überlebende Ehegatte die Erbschaft aus, so ist er nicht als gesetzlicher Miterbe berufen. |
2. |
Die Erbquote unseres Sohnes/unserer Tochter beträgt zehn/zwanzig/fünfzig Hundertstel mehr als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils. Im Übrigen ist wie vorerwähnt der überlebende Ehegatte zur Erbfolge berufen. |
3. |
Unser Sohn/Unsere Tochter ist allerdings nur Vorerbe. Der Vorerbe ist von folgenden gesetzlichen Beschränkungen ausdrücklich befreit:
▪ |
§ 2113 Abs. 1 BGB (Verbot von Verfügungen über Grundstücke, Schiffe und Schiffsbauwerke). Dies gilt ausdrücklich auch für ein etwa vorhandenes Erbbaurecht und ein Wohnungs- oder Teileigentum; |
▪ |
§ 2116 BGB (Verpflichtung zur Hinterlegung von Wertpapieren); |
▪ |
§ 2118 BGB (Sperrvermerk) sowie |
▪ |
§ 2119 BGB (Anlegung von Geld). |
|
Der erstversterbende Elternteil ordnet gemäß § 2048 Satz 2 BGB an, dass die Auseinandersetzung des Nachlasses nach dem billigen Ermessen des Testamentsvollstreckers erfolgen soll.
Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben ein. Nacherbe ist der überlebende Ehegatte. Ersatzweise sind Nacherben die Abkömmlinge des Vorerben unter sich zu gleichen Teilen entsprechend den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung. Wiederum ersatzweise ist Ersatznacherbe unser Sohn/unsere Tochter _________________________, ersatzweise deren Abkömmlinge unter sich zu gleichen Teilen entsprechend den Regeln der gesetzlichen Erbfolge erster Ordnung. Das Nacherbenanwartschaftsrecht ist ohne Zustimmung des Vorerben weder vererblich noch übertragbar. Im Falle der Übertragung mit Zustimmung des Vorerben entfällt jede ausdrückliche oder stillschweigende Ersatznacherbeneinsetzung.
Sollte unser Sohn/unsere Tochter bereits vorverstorben sein oder aus andere...