Dr. Sebastian Hofert von Weiss
Rz. 205
Die Bürgschaft ist ein Vertrag, durch den sich der Bürge ggü. dem Gläubiger eines Dritten (des sog. Hauptschuldners) verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeiten des Dritten einzustehen. Der Gläubiger will sich durch die Bürgschaft im Fall einer Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners absichern. Die Bürgschaft sichert damit als eigene Leistungsverpflichtung des Bürgen ggü. dem Gläubiger die Schuld des Dritten (Hauptschuld).
Die Grundlage für die Bürgschaft bildet das Bestehen eines Schuldverhältnisses zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner (Hauptverbindlichkeit). Aus dem Bürgschaftsverhältnis ergibt sich eine weitere Verbindlichkeit, nämlich die des Bürgen ggü. dem Gläubiger (Bürgschaftsschuld). Wesen des Bürgschaftsverhältnisses ist daher ein doppelter Anspruch auf Erfüllung, zum einen gegen den Hauptschuldner, zum anderen gegen den Bürgen.
Rz. 206
Die Bürgschaft ist ein einseitig verpflichtender Vertrag, der seine gesetzlichen Grundlagen in den §§ 765 ff. BGB findet. Der Gläubiger und Bürgschaftsnehmer werden berechtigt, der Bürge verpflichtet.
Für die Verpflichtung des Bürgen ist der jeweilige Bestand der Hauptverbindlichkeit maßgebend (Akzessorietätsprinzip). Grds. hat der Gläubiger zunächst gegen den Hauptschuldner gerichtlich vorzugehen (indem er die Zwangsvollstreckung versucht), bevor er auf den Bürgen zugreift. Dies wird durch die Einrede der Vorausklage im Prozess sichergestellt (§ 771 BGB). Bei Übernahme einer sog. selbstschuldnerischen Bürgschaft verzichtet der Bürge auf diese Einrede (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
Rz. 207
Dem Verhältnis zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen liegt meist ein Auftrag oder eine entgeltliche Geschäftsbesorgung zugrunde. Leistet der Bürge an den Gläubiger, geht die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auf ihn – den Bürgen – über. Wichtige Begleiterscheinung dieses gesetzlichen Forderungsübergangs ist der Erwerb sämtlicher i.Ü. noch bestehender akzessorischer Sicherungsrechte an der Forderung (§§ 774 Abs. 1 Satz 1, 401 Abs. 1 BGB). Aufgrund dieses gesetzlichen Forderungsüberganges (cessio legis) und der ggf. damit verbundenen Sicherungsrechte oder aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag kann der Bürge dann Ersatz des Geleisteten vom Hauptschuldner bzw. die Duldung der Verwertung der der Sicherung dienenden Gegenstände verlangen. Nichtakzessorische Sicherungsrechte gehen nicht gem. §§ 774 Abs. 1 Satz 1, 401 Abs. 1 BGB auf den Bürgen über. Es besteht jedoch nach der Rspr. ein schuldrechtlicher Anspruch analog §§ 774 Abs. 1, 401 Abs. 1 BGB des Bürgen auf Übertragung dieser Rechte.
Rz. 208
Zur Wirksamkeit der Bürgschaft ist eine schriftliche Erklärung des Bürgen erforderlich (§ 766 Satz 1 BGB). Diese hat alle wesentlichen Merkmale einer Bürgschaft – Benennung der verbürgten Schuld, Bezeichnung des Gläubigers etc. – zu enthalten. Die Formvorschriften gelten nicht für die Bürgschaft eines Vollkaufmanns (§ 350 HGB). Ein Vollkaufmann kann auch mündlich bürgen, wenn die Bürgschaft für ihn ein Handelsgeschäft ist (zum Kaufmannsbegriff vgl. dazu § 1 Rdn 8 ff.). Die Bürgschaft des Kaufmanns ist stets selbstschuldnerisch (§ 349 HGB).
Rz. 209
Neben der Grundform der Bürgschaft existieren zahlreiche besondere Ausprägungen. Im Wesentlichen sind die folgenden in der Praxis relevanten Sonderformen zu unterscheiden.
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Selbstschuldnerische Bürgschaft: Der Bürge hat gem. § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB auf die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) verzichtet. Das bedeutet, dass der Sicherungsnehmer auf den Bürgen zugreifen kann, ohne zunächst die Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner versuchen zu müssen. Aufgrund der Vorschrift des § 349 HGB ist diese Bürgschaftsform unter Kaufleuten der gesetzliche Regelfall. |
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Bürgschaft auf erstes Anfordern: Der Bürge kann zunächst keine Einwendungen gegen die Hauptschuld geltend machen, sondern ist zur Zahlung auf Anforderung verpflichtet. Hatte der Sicherungsnehmer aber kein materielles Recht, auf den Bürgen zuzugreifen, kann dieser in einem Zweitprozess (sog. Rückforderungsprozess) den gezahlten Betrag zurückverlangen. Nach der Rspr. bleibt die Beweislast für das Bestehen der Bürgschaft beim Sicherungsnehmer. Die Übernahme dieser Form der Bürgschaft bleibt – soweit für den Bürgschaftsvertrag die §§ 305 ff. BGB gelten – Kreditinstituten und Unternehmern vorbehalten, zu deren Geschäftsbereich derartige Bürgschaften gehören. Erhebliche praktische Schwierigkeiten bei der Durchsetzung trotz klarer Rechtslage lassen sich immer wieder in Fällen beobachten, in denen eine gewisse Nähebeziehung (z.B. lange, gewachsene gute Geschäftsbeziehung) zwischen Schuldner und bürgender Bank besteht. Der im Handels- und Gesellschaftsrecht tätige Anwalt ist daher gut beraten, im Rahmen von Vertragsverhandlungen Bürgschaften auf erstes Anfordern von einem möglichst "neutralen" Kreditinstitut zu fordern. |
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Ausfallbürgschaft: Der Bürge haftet nur, wenn der Sicherungsnehmer trotz Beachtung der erforderlichen Sorgfalt keine B... |