Dr. Sebastian Hofert von Weiss
Rz. 253
Unter Factoring versteht man den gewerbsmäßigen Ankauf und die Geltendmachung von Forderungen eines Unternehmens aus Warenlieferungen oder Dienstleistungen durch einen Dritten (Factor) vor oder bei Fälligkeit. Der Begriff des Factorings entstammt dem angloamerikanischen Wirtschaftsraum und hat sich im 19. Jahrhundert durch steigende wirtschaftliche Beziehungen europäischer Hersteller mit den USA auch in Europa verbreitet. In Deutschland war das Factoring-Finanzierungssystem zunächst vergleichsweise wenig verbreitet. Inzwischen erfährt die Branche jedoch seit Jahren einen Aufschwung. Das Forderungsvolumen belief sich im ersten Halbjahr 2023 auf 192,8 Mrd. EUR (im Vergleich zum 1. Halbjahr 2022 ein Anstieg um knapp 5,7 %). Factoring ist damit in Deutschland zu einem wichtigen Baustein insb. der Mittelstandsfinanzierung geworden.
Rz. 254
Benötigt ein Unternehmen liquide Mittel, kann es einen Forderungsbestand, z.B. aus Lieferungen an Kunden, an eine Factoring-Gesellschaft verkaufen. Den erhaltenen Kaufpreis kann das Unternehmen dann zur Steuerung seiner Liquidität verwenden; das Factoring stellt somit eine weitere Form der Unternehmensfinanzierung dar.
Rz. 255
Regelmäßig besteht beim Factoring ein Dreiecksverhältnis: Das Unternehmen (Factoring-Geber) überträgt Forderungen, die aus der laufenden Geschäftstätigkeit gegen die Debitoren (Drittschuldner) entstehen, auf den Factor, der nunmehr als neuer Gläubiger das Eintreiben der Forderungen von den Debitoren übernimmt. Factoring-Institute erwerben keine einzelnen Forderungen, sondern vielmehr Forderungsgesamtheiten, damit im Fall der Übernahme des Delkredererisikos durch den Factor der Factoring-Geber nicht nur die risikobehafteten Forderungen abtritt.
Rz. 256
Zwei Formen, das echte und das unechte Factoring, werden unterschieden: Beim echten Factoring nimmt der Factor ggü. dem Factoring-Geber im Wesentlichen drei Funktionen war:
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Finanzierungsfunktion: Im Wege des Ankaufs der Forderungen durch den Factor wird sofortige Liquidität vor Fälligkeit der Forderung seitens des Factoring-Gebers hergestellt. Der Factoring-Geber erlangt eine sofortige Valutierung seiner Forderungen und vermeidet dadurch Liquiditätsengpässe insb. bei verlängerten Zahlungszielen. |
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Dienstleistungsfunktion: Der Factor übernimmt die Debitorenbuchhaltung (Rechnungsstellung, Forderungseintreibung, ggf. Solvenzüberwachung, Beratungsleistungen in Absatz- und Investitionsfragen). |
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Delkrederefunktion: Übernahme des vollen Kreditrisikos (Delkredererisiko) durch den Factor. Beim echten Factoring trägt der Factor, nach vorangegangener Kreditwürdigkeitsprüfung des Debitors, das Risiko der Bonität der übertragenen Forderung. Der Factoring-Geber haftet allein für die Verität der Forderung, also den Bestand. Ein Regress des Factors im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Debitors ist ausgeschlossen. |
Rz. 257
Der einer Forderungsübertragung zugrunde liegende schuldrechtliche Vertrag wird beim echten Factoring nach ganz herrschender Meinung als Kaufvertrag nach § 453 Abs. 1 i.V.m. § 433 Abs. 1 BGB (Rechtskauf) qualifiziert. Der Factoring-Geber ist dem Factor zur Übertragung der Forderung verpflichtet, d.h. zur Verschaffung der Forderungsinhaberschaft in der Person des Factors als neuem Gläubiger durch einen dinglichen Abtretungsvertrag nach § 398 BGB. Der Factor ist zur Zahlung des vereinbarten Kaufpreises gem. § 433 Abs. 2 BGB verpflichtet. Die Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Verschaffungspflicht ergeben sich aus §§ 453 Abs. 1, 437, 439, 440 BGB. Ggf. ist §§ 377 HGB zu berücksichtigen.
Rz. 258
Folgende Vorteile für die Factoring-Geber sind beim echten Factoring hervorzuheben:
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Liquiditätsgewinne durch Skontierungsfähigkeit ggü. den Lieferanten, Barzahlerpreise, Sonderkonditionen, |
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Einsparung von Kosten bei der Debitorenbuchhaltung, der Kreditwürdigkeitsprüfung und dem Mahnwesen, |
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Gebührenersparnis bei der Informationsbeschaffung, |
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Wegfall der Kosten für das Beitreiben der Forderungen, |
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keine Verluste aus der Insolvenz der Debitoren, |
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Kapitalfreisetzung durch Abbau der Außenstände, |
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ggf. Gewerbesteuereinsparung bei Reduzierung von Dauerschuldverhältnissen, |
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Verbesserung der Bilanzoptik durch Forderungs- und Verbindlichkeitsabbau, |
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ggf. Ausweitung des Umsatzes, wenn zuvor ein Finanzierungsengpass bestand. |
Rz. 259
Der wesentliche Unterschied zwischen echtem und unechtem Factoring ist, dass der Factor beim unechten Factoring das Delkredererisiko nicht übernimmt. Der Factor nimmt hier lediglich die Finanzierungs- und die Dienstleistungsfunktion wahr:
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Bei der Finanzierungsfunktion ergeben sich einige Abweichungen zum echten Factoring. So wird der Factoring-Geber bei Uneinbringlichkeit der abgetretenen Forderung durch den Factor rückbelastet. Regelmäßig bestimmt eine Fristenregelung, wann der Debitor die übertragene Forderung an den Factor zu leisten hat. Erfolgt eine solche Leistung nicht, ist der an den Factoring-Geber ausbezahlte Geldbetrag an den Factor z... |