Dr. Wolfgang Kürschner, Dr. iur. Sebastian Müller
Rz. 18
Ein abgeschlossener Vergleich ist nach § 779 BGB unwirksam, wenn beide Parteien übereinstimmend einen Sachverhalt vorausgesetzt haben, der tatsächlich nicht vorlag und wenn sie bei Kenntnis der Sachlage den Vergleich nicht abgeschlossen hätten. Der Irrtum kann sowohl tatsächlicher wie rechtlicher Art sein. Dagegen betrifft es nicht den Sachverhalt, wenn die Parteien sich nur über die Rechtsgrundlage des Anspruches geirrt haben. Nicht ausreichend ist ein Irrtum über die erwartete zukünftige Entwicklung. § 779 BGB enthält die Regelung für den Fall eines beiderseitigen Irrtums über einen Umstand, der außerhalb des Streites der Parteien lag. Auf einen Irrtum über streitige oder ungewisse Umstände oder Rechtsfolgen, die der Vergleich gerade beheben soll, findet die Unwirksamkeitsregel des § 779 Abs. 1 BGB von vorneherein keine Anwendung. Ohnehin stellt die Rechtsprechung an eine Anwendbarkeit von § 779 BGB sehr hohe Anforderungen. Wenn das (frühere) Amt für Verteidigungslasten (AfV) bei einem Stationierungsschaden nach eingehender Prüfung einen Entschädigungsbetrag rechtskräftig festgesetzt hat, kommt später ein Rückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung regelmäßig nicht infrage. Nur bei beiderseitigem Irrtum können die Voraussetzungen des § 779 BGB vorliegen. Wird der Vergleich nur zur Verwirklichung eines bestimmten, beiden Parteien bekannten Zwecks geschlossen, so ist die Erreichung des Zwecks Bedingung im Sinne des § 162 BGB; bei Nichteintritt entfällt der Vergleich und die Parteien haben sich ihre Leistungen zurück zu gewähren, condicitio causa data causa non secuta.
Rz. 19
Von der Unwirksamkeit eines Vergleichs nach § 779 BGB zu unterscheiden sind die daneben anwendbaren Grundsätze über das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage, die in aller Regel nicht zur Nichtigkeit oder zum Wegfall des Geschäftes, sondern zur Anpassung des Grundgeschäftes, also beispielsweise auch eines Vergleichs, führen können. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage sowie deren Voraussetzungen und Folgen sind in § 313 BGB geregelt. Ob eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt, ist nicht von Amts wegen zu berücksichtigen; die Anpassung kann (lediglich) verlangt werden. Allerdings ist die Rechtsprechung bei der Annahme einer Störung der Geschäftsgrundlage in der Regel zurückhaltend. Geschäftsgrundlage ist nach ständiger Rechtsprechung die bei Abschluss des Vertrages zutage getretene, dem anderen Teil erkennbar gewordene und von ihm nicht beanstandete Vorstellung einer Partei oder die gemeinsame Vorstellung beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut.
Rz. 20
Eine Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt nur in Betracht, wenn dies zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht vereinbarender und damit der betroffenen Vertragspartei nicht zumutbarer Folgen unabweislich erscheint. Will eine Partei von einem Vergleich abweichen und Nachforderungen stellen, muss sie darlegen, dass ihr ein Festhalten an dem Vergleich nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen ist bzw. sich geändert hat, sodass eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheint, oder weil erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten sind, die für eine Partei nach den gesamten Umständen des Falles eine ungewöhnliche Härte bedeuten würden. Sind rechtskräftig geschiedene Eheleute in einer vergleichsweisen Regelung über die Höhe des zu zahlenden Zugewinnausgleichs beiderseitig von falschen Vorstellungen über den wahren Wert einer Immobilie ausgegangen, dann kommt eine Anpassung des Vertrages nach § 313 Abs. 1 BGB gemäß den Grundsätzen über den Wegfall bzw. die Störung der Geschäftsgrundlage nicht in Betracht, wenn der von einem Sachverständigen in einem Wertgutachten ermittelte Verkehrswert des Grundstücks höher liegt als der von den Vertragsparteien zugrunde gelegte Immobilienwert. Die Eheleute werden durch die Fehleinschätzung des Grundstückswertes dann nicht beschwert.
Rz. 21
Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen der Geschädigte trotz eines Abfindungsvergleichs Schadensersatz für nicht vorhergesehene Spätfolgen verlangen kann. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Geschädigte, der von einem umfassenden Abfindungsvergleich abweichen und Nachforderungen stellen will, dartun, dass ihm ein Festhalten am Vergleich nach Treu und Glauben nicht zumutbar ist, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen ist oder sich geändert hat, so dass eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheint, oder weil nachträglich erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten sind, die für den Geschädigt...