Dr. Wolfgang Kürschner, Dr. iur. Sebastian Müller
Rz. 51
Rechtstatsächlichen Berichten zufolge, liegt der ganz überwiegende Schwerpunkt der Vergleichstätigkeit in Haftpflichtfällen, in denen Versicherer beteiligt sind, im außergerichtlichen Bereich. Die Frage, ob vor Gericht ein Vergleich abgeschlossen werden soll, stellt sich demnach also nur in den im Verhältnis zur Gesamtzahl der Geschäftsanfälle wenigen Fällen, in denen überhaupt Klage erhoben wird. Der hohe rechtspolitische Stellenwert, den die ZPO dem Prozessvergleich beimisst, kommt dadurch zum Ausdruck, dass das Gericht gem. § 278 Abs. 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein soll. Das Gericht kann die Parteien gem. § 278 Abs. 5 ZPO für einen Güteversuch an einen hierfür bestimmten, nicht entscheidungsbefugten Güterichter verweisen. Eine gütliche Einigung ist oft auch sachgerecht, da im Wege eines Prozessvergleichs flexiblere, differenziertere, meist auch von den Parteien selbst gefundene, jedenfalls aber getragene Lösungen herbeigeführt werden können als durch Urteile, die oftmals nur alles oder nichts geben können. Der Prozessvergleich dient daher in hohem Maße auch der Wiederherstellung des Rechtsfriedens der Parteien.
Rz. 52
Für den Prozessvergleich gelten einige Besonderheiten: Er ist Prozessvertrag, der eine rechtliche Doppelnatur hat, das heißt, er ist sowohl eine Prozesshandlung, deren Wirkungen sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts richten, als auch ein privatrechtlicher Vertrag, für den die Regeln des materiellen Rechts gelten. Anerkannt ist, dass die Parteien durch einen außergerichtlichen Abänderungsvertrag die materiell-rechtlichen Wirkungen eines Prozessvergleichs abändern oder beseitigen können. Für die prozessualen Wirkungen, die in der unmittelbaren Verfahrensbeendigung und in der Vollstreckbarkeit übernommener Leistungspflichten bestehen, kann jedoch nicht das Gleiche gelten. Die prozessbeendende Wirkung eines Prozessvergleichs kann durch einen Abänderungsvertrag der Parteien nicht beseitigt werden. Kommen die Parteien außergerichtlich überein, die in einem Prozessvergleich begründeten Pflichten zu reduzieren, so kommt dem im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit keine unmittelbare prozessuale Wirkung zu.
Rz. 53
Vielmehr hat der Schuldner, falls die Zwangsvollstreckung aus dem Prozessvergleich in dem früheren Umfang weiterbetrieben wird, lediglich die Möglichkeit, im Wege der Klage nach §§ 795, 767 ZPO dagegen vorzugehen. Ein Vergleich bedarf der ordnungsgemäßen Protokollierung, d.h. der Niederschrift im Protokoll selbst oder in einer Anlage, § 160 ZPO. Das Protokoll muss den Beteiligten vorgelesen oder vorgespielt und von ihnen genehmigt werden. Ein gerichtlicher Vergleich kann nach § 278 Abs. 6 ZPO auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen, oder dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten. Das kann auch vor einem Güterichter geschehen mit der Folge, dass der Inhalt des Vergleichs der Vertraulichkeit des Güterichterverfahrens unterfällt. Das Gericht prüft das wirksame Zustandekommen der Einigung – auch im Hinblick auf §§ 134, 138 BGB und stellt das Zustandekommen sowie den Inhalt eines schriftlich geschlossenen Vergleichs durch Beschluss fest. § 164 ZPO gilt entsprechend. Diese gesetzliche Möglichkeit, eine gütliche Beendigung eines Rechtsstreits herbei zu führen, hat sich in der Praxis (einschließlich des Rechtsmittelverfahrens) sehr bewährt; sie räumt den Parteien und ihren Anwälten ausreichende Prüfungs-, Überlegungs- und Entscheidungsgelegenheit ein und erspart – in geeigneten Fällen – allen eine mündliche Verhandlung.
Rz. 54
Der Prozessvergleich beendet in der Regel den Prozess und ist Vollstreckungstitel im Sinne des § 794 ZPO. Das gilt auch für einen vor dem Güterrichter protokollierten Vergleich, da für diesen die §§ 159 ff. ZPO gleichermaßen anwendbar sind. Der Prozessvergleich unterliegt, wenn es sich um wiederkehrende Leistungen handelt, der Abänderungsklage nach §§ 323a, 794 ZPO. Inhaltlich sind gem. § 323a Abs. 2 ZPO die Vorschriften des bürgerlichen Rechts für die Frage einer Abänderung heranzuziehen. Beim außergerichtlichen Vergleich kann eine Abänderungsklage nicht auf § 323a ZPO, sondern lediglich auf Veränderungen der Geschäftsgrundlage gestützt werden. Wenn ein Prozessvergleich bereits durch Urteil abgeändert worden ist, ist im erneuten Abänderungsverfahren § 323 Abs. 2 ZPO anwendbar.
Rz. 55
Der Prozessvergleich kann über den Rahmen des sonst im Prozess befangenen Anspruches hinausgehen, auch können dritte Personen dem Vergleich beitreten, § 794 Ziff. 1 ZPO, die zwar nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht anwaltlich vertreten sein müssen, es jedoch im eigenen Interesse möglichst sein sollten. Kein Prozessvergleich liegt vor, wenn die Parteien lediglich mitteil...