aa) Allgemein
Rz. 22
Dem Verfallverfahren ist im Ordnungswidrigkeitenrecht eigentlich eine lediglich lückenfüllende Funktion zugedacht; es sollte dort nur zur Anwendung kommen, wo die Vermögensabschöpfung nicht durch die Festsetzung einer Geldbuße erreicht werden kann, so z.B. wenn der Täter selbst einen Vermögensvorteil erlangt hat, indem er rechtswidrig, aber nicht vorwerfbar, eine mit Geldbuße bedrohte Handlung begangen hat (§ 29a Abs. 1 OWiG) oder wenn ein anderer als Täter den aus der Tat entstandenen Vermögensvorteil erlangt hat (§ 29a Abs. 2 OWiG).
Rz. 23
Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis hat die Praxis in der Zwischenzeit jedoch in ihr Gegenteil verkehrt und dies augenscheinlich aus fiskalischen Gründen:
Für Bußgeldbehörden ist es nämlich verlockend, dass sie unabhängig vom jeweiligen Tatort für die Gewinnabschöpfung sämtlicher, von Mitarbeitern eines Betriebs begangener Ordnungswidrigkeiten zuständig sind, sobald sie auch nur einen Verstoß in ihrem Zuständigkeitsgebiet feststellen können.
Vor allem in Fällen von Überladungen besorgen sie sich dann in der Hoffnung, möglichst viele Verstöße aufdecken zu können, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, um nach Einstellung der gegen die Verantwortlichen eingeleiteten Verfahren hohe, teilweise mehrere 100.000 EUR betragende Verfallbescheide gegen das Unternehmen erlassen zu können. Das kann für die betroffenen Betriebe deshalb existenzbedrohend sein, weil nach herrschender Meinung der Verfallsbetrag nach dem für die gesamte und nicht nur den überladenen Teil der Ladung erhaltenen Fuhrlohn berechnet wird, ohne dass die durch die Fahrt angefallenen Kosten hiervon abgezogen werden könnten ("Bruttoprinzip")."
bb) Fußangeln des Verfahrens für die Behörden
Rz. 24
1. Verjährung
Auch wenn es zum Teil um sehr hohe Beträge geht, gelten auch für den Verfall die für Verkehrsordnungswidrigkeiten maßgeblichen (kurzen) Verjährungsfristen. Denn gem. § 31 Abs. 1 OWiG ist nämlich, wenn die zugrundeliegende Ordnungswidrigkeit verjährt ist, auch die Anordnung von Nebenfolgen, wie dem Verfall, ausgeschlossen.
2. Verfallanordnung gegen Unternehmen und deren Verantwortliche
Die Verfallanordnung gegen den Täter selbst (§ 29a Abs. 1 OWiG) ist ebenso unproblematisch, wie die Inanspruchnahme eines Dritten (§ 29a Abs. 2 OWiG). Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass gegen den Täter ein Bußgeldverfahren betrieben wird und dieses (noch) nicht mit einer Sachentscheidung endete.
Problematisch ist jedoch das in der Regel gegen das Unternehmen eingeleitete selbstständige Verfallverfahren gem. § 29a Abs. 4 OWiG. Ein selbstständiges Verfahren darf nämlich nur eingeleitet werden, wenn gegen den Täter oder den sonst Verantwortlichen ein Verfahren nicht eingeleitet oder eingestellt wurde (OLG Koblenz zfs 2010, 108). Ist dagegen gegen den Disponenten oder den Geschäftsführer ein Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden, hindert dies ein Verfallverfahren gegen die Firma, deren Inhaber oder sonstige Verantwortliche (OLG Koblenz zfs 2007, 108; OLG Koblenz zfs 2010, 108; OLG Frankfurt DAR 2009, 97; OLG Zweibrücken NZV 2010, 477).
Umstritten ist, ob ein gegen den Fahrer rechtskräftig gewordener Bußgeldbescheid ebenfalls ein Verfahrenshindernis für ein Verfallverfahren gegen das Unternehmen darstellt. Die überwiegende Meinung verneint dies mit der Begründung, der gegen den Unternehmer oder den Disponenten erhobene Vorwurf knüpfe an einen anderen Sachverhalt an, nämlich an die von diesem getroffene Anordnung oder die Verletzung der Aufsichtspflicht (OLG Zweibrücken NStZ-RR 2010, 256).
3. Stoffgleichheit
Zwischen Tat und Vorteil muss eine unmittelbare Kausalbeziehung bestehen, d.h. der Vorteil muss spiegelbildlich aus der rechtswidrigen Tat erlangt sein (OLG Celle DAR 2011, 642; BGH zfs 2017, 408). Vermögensvorteile, die durch den Einsatz des ursprünglich Erlangten erst nachträglich entstehen, unterliegen dem Verfall deshalb nicht (BGH NJW 2002, 2257).
4. Höhe des Verfalls
a) |
Bruttoprinzip Es gilt das Bruttoprinzip, d.h. es ist zunächst der Betrag zu bestimmen, der dem Täter zugeflossen ist. Die von ihm getätigten Aufwendungen (außer ggf. Steuern, BGHR StGB § 73 Abs. 3, Bruttoprinzip 1) sind nicht in Abzug zu bringen (BGH NJW 2012, 1159; OLG Düsseldorf NStZ 2014, 339). Der Betroffene geht damit, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 2004, 2073), sämtlicher Investitionen verloren, ohne dass es auf sein Verschulden ankäme. |
Achtung: Nach Gesetzesänderung Abzüge möglich
Durch die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung (BT Drucksache 18/9525 bzw. 18/11640) wurde der bußgeldrechtliche Verfall in § 29a OWiG weitgehend an die §§ 73c, 73 d StGB angegliedert. Zwar ist nach wie vor grundsätzlich für die Bestimmung des Erlangten die insgesamt erhaltene Gegenleistung zugrunde zu legen. Nach der jetzigen Fassung des § 29a Abs. 3 OWiG sind u.U. jedoch die für die Tat angefallenen Aufwendungen zu berücksichtigen, da das Gesetz jetzt eine subjektive Komponente enthält (BT Drucksachen wie vor S. 105, bzw....