Dr. iur. Marcus Hartmann, Walter Krug
1. Verpflichtung des Nachlassgerichts zur Einziehung eines unrichtigen Erbscheins
Rz. 153
Wegen der Rechtsscheinwirkung des Erbscheins (§ 2366 BGB) müssen unrichtige Erbscheine so schnell wie möglich "aus dem Verkehr gezogen" werden. Deshalb sehen § 2361 BGB, § 353 FamFG vor, dass unrichtige Erbscheine vom Nachlassgericht von Amts wegen einzuziehen sind. Eine zur Einziehung verpflichtende Unrichtigkeit eines Erbscheins gem. § 2361 BGB liegt vor, wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung schon ursprünglich nicht gegeben waren oder nachträglich nicht mehr vorhanden sind.
Damit ist auch klar, dass ein Erbschein nicht in Rechtskraft erwächst und auch nach langer Zeit noch eingezogen werden kann.
Rz. 154
BGH, Beschl. v. 3.2.1967, BGHZ 47, 58 (Zulässigkeit der Erbscheinseinziehung trotz längeren Zeitablaufs):
Zitat
"Das Nachlaßgericht kann einen Erbschein, den es aufgrund eines Testaments erteilt hat und nach erneuter Überprüfung für unrichtig hält, auch dann einziehen, wenn seit der Erteilung des Erbscheins ein langer Zeitraum verstrichen ist, zwischenzeitlich keine neuen Tatsachen aufgetreten sind und die der Erbscheinerteilung zugrunde liegende, von den Betroffenen widerspruchslos hingenommene Testamentsauslegung denkgesetzlich möglich gewesen ist (entgegen OLG Schleswig, 1964–02–14, 2 W 110/62, SchlHA 1964, 259)."
Rz. 155
OLG Köln:
Zitat
"Die Einziehung eines Erbscheins kann auch lange Zeit nach seiner Erteilung (hier: 27 Jahre) beantragt werden, selbst wenn früher alle Beteiligten mit seinem Inhalt einverstanden waren und ihr Verhalten darauf abgestellt haben."
Rz. 156
Möglich ist eine Einziehung des Erbscheins nach langer Zeit (28 Jahre) auch, wenn das Nachlassgericht ein Testament anders als bisher auslegt.
2. Ermittlungen des Nachlassgerichts zur Testierunfähigkeit des Erblassers
Rz. 157
Das Nachlassgericht hat von Amts wegen Ermittlungen über die Testierfähigkeit anzustellen, wenn nachträglich Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit des Erblassers vorliegen, §§ 2229 Abs. 4, 2361 BGB, §§ 353, 26 FamFG.
Rz. 158
Die Testierfähigkeit ist ein Unterfall der Geschäftsfähigkeit, gleichwohl aber unabhängig von ihr geregelt. Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst werden, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern vielmehr von diesen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden. Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildungen braucht nicht darin zutage zu treten, dass der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letztwilligen Anordnungen, insbesondere von ihrer Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag, sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen. Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln. Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen.
Rz. 159
Die Störung der Geistestätigkeit gilt als Ausnahmetatbestand, deshalb wird der Erblasser so lange als testierfähig angesehen, bis nicht das Gegenteil bewiesen ist. Bei nicht behebbaren Zweifeln muss von der Testierfähigkeit ausgegangen werden.
Rz. 160
Erforderlich ist regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens eines Psychiaters und nicht nur die Stellungnahme eines praktischen Arztes.
3. Vorläufiger Rechtsschutz im Erbscheinseinziehungsverfahren
Rz. 161
Als Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes kann das Nachlassgericht gem. § 49 FamFG eine einstweilige Anordnung des Inhalts erlassen, dass die Ausfertigungen des Erbscheins bis zur Entscheidung über die Einziehung zu den Nachlassakten gegeben werden. Eine solche Hinterlegung der Ausfertigungen des Erbscheins beim Nachlassgericht bese...