Rz. 128

Ob und inwieweit die Anrechnung unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten wirksam ist, ist nicht ganz sicher. Vereinzelt wurden bereits vor der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 9.6.2011 in der Literatur einzelne Klauseln unter dem Aspekt der Inhaltskontrolle als "kritisch" betrachtet,[364] und/oder zumindest diejenigen, die "alle" Rechtsverfolgungskosten für von der Versicherungssumme abziehbar erklären, für unwirksam gehalten[365] wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.[366] Der Versicherungsnehmer – so eine Hauptargumentation – sei nicht in der Lage, den Betrag auszurechnen, den er nach Abzug der Kosten als "Nettoversicherungssumme" einklagen könne; ferner stünde es im Ermessen der Versicherung zu entscheiden, welche Kosten sie als Aufwand für erforderlich halte. Die Anrechnung sei – so Säcker[367] – inhaltlich, beurteilt vom Vertragszweck "einer Versicherung", unangemessen und verstoße auch in materieller Hinsicht gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB auch im Hinblick auf den "Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit", der seine Grundlage in Art. 3 GG finde.[368] Dazu gehöre auch, dass die Kosten der Rechtsverfolgung grundsätzlich die unterlegene Partei zu tragen habe.

 

Rz. 129

Weder die in der Literatur, vor allem von Säcker, vereinzelt vorgetragenen Argumente, noch die inhaltlich sich aus der Begründung des OLG Frankfurt am Main ergebenden Aspekte vermögen in Gänze zu überzeugen. Dies gilt ganz ungeachtet der Frage, ob die "Kostenanrechnungsklausel" einer Inhaltskontrolle nicht ohnehin bereits nach § 307 Abs. 3 BGB entzogen ist.[369] Ich meine nicht, dass die "Anrechnungsklauseln" an sich, insbesondere im Bereich der D&O-Versicherung, den "durchschnittlichen Versicherungsnehmer"[370] unangemessen benachteiligen und/oder intransparent sind.

 

Rz. 130

Zunächst zu dem Argument des OLG Frankfurt am Main, die Anrechnung auf die Versicherungssumme widerspreche dem Leitbild des § 150 Abs. 2 VVG a.F. (vgl. dazu § 101 Abs. 2 S. 1 VVG ab 2008). Ob und inwieweit gerade in dieser Regelung aber ein "gesetzliches Leitbild der Haftpflichtversicherung" überhaupt gesehen werden kann, so wie dies das OLG Frankfurt am Main annimmt, aber von Sieg/Schramm[371] bereits in Frage gestellt wurde, gilt es, näher zu untersuchen: In der Literatur wird insoweit nicht stets vom Leitbildcharakter gesprochen.[372] So wird angeführt, dass die gesetzlich normierte Kostentragungspflicht des Versicherers im Verhältnis zur eigentlichen Risikoübernahme, nämlich der Freistellung von begründeten Haftpflichtansprüchen Dritter, stets nur eine Nebenpflicht sei.[373] Andererseits wird selbst von den Autoren, die, was die Kostentragungspflicht angeht, durchaus ein gesetzliches Leitbild der Haftpflichtversicherung sehen und dieses in den §§ 101 und 83 VVG n.F. ansiedeln, herausgestellt, dass sich zwar dadurch ein strenger Rahmen ergäbe, auch für die Gestaltung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen,[374] aber doch durchaus konzediert, dass von der in § 101 VVG normierten Regelung zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden könne, jedenfalls dann, wenn diese Änderung für den Versicherungsnehmer keine (wesentlich) nachteilige Abweichung von § 83 VVG (§ 63 a.F.) bedeute. Anders gewendet: Die Dispositivität von § 101 VVG findet ihre Schranken im Rahmen des Regelungsgrades des § 83 VVG. Aber immerhin meint Schulze Schwienhorst, dass eine vertragliche Abänderung der §§ 101 f. VVG in Form eines pauschalen Ausschlusses der Kostenübernahme der Haftpflichtversicherung nur schwerlich mit dem halb zwingenden Regelungsgehalt des § 83 VVG vereinbar sein dürfte.[375] Konkret zu Kostenanrechnungsklauseln heißt es dann auch bei Schulze Schwienhorst: "Die Vereinbarung solcher Kostenklauseln ist grundsätzlich aufgrund des dispositiven Charakters von § 101 Abs. 2 VVG zulässig".[376]

Allerdings äußert auch er grundsätzliche Bedenken, Kostenanrechnungsklauseln im Rahmen von "Allgemeinen Bedingungen" zu verwenden, die in jedem Falle eine Anrechnung vom Versicherer veranlasster Kosten auf die Versicherungssumme ermöglichen würden.[377] Dabei wird ein Argument, was das OLG Frankfurt am Main nicht erwähnt hat, überdeutlich: Ein D&O-Versicherer, der sich auf eine Anrechnungsklausel berufen kann, kann zur Abwehr erhebliche Verteidigungsaufwendungen vornehmen und auch sogar langwierige Verfahren anstreben, die mit Mehrkosten gegenüber einer schnellen Lösung verbunden sind. Für den Versicherer ergibt sich daher ein geringeres wirtschaftliches Risiko durch langwierige Verfahren, liegen entsprechende Anrechnungsklauseln vor.[378] Dadurch allein aber werden weder die Versicherungsnehmerin noch die versicherten Personen benachteiligt. Schwierig wird es erst dann, wenn die konkreten Verteidigungsmaßnahmen des Versicherers zu einer substantiellen Einschränkung der Versicherungssummen im Hinblick auf berechtigte Ansprüche führen, einer Thematik, mit der sich das OLG Frankfurt am Main gar nicht erst auseinandergesetzt hat. Wie ich bereits...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?