I. Zivilrechtliche Ausgangslage
Rz. 1
Der Nießbrauch ist das grundsätzlich unübertragbare (§ 1059 BGB) und unvererbliche (§ 1061 BGB) absolute Recht, sämtliche Nutzungen (§ 100 BGB) aus dem belasteten Gegenstand zu ziehen und über die gezogenen Nutzungen als Eigentümer zu verfügen. Nießbrauch ist an beweglichen Sachen (§§ 1030 ff. BGB), an Rechten (§§ 1068 ff. BGB) und am Vermögen (§§ 1085 ff. BGB) möglich. Der Nießbraucher hat die bisherige wirtschaftliche Bestimmung (§ 1036 Abs. 2 BGB) der Sache und ihren wirtschaftlichen Bestand aufrechtzuerhalten und ist nicht berechtigt, in die Substanz des belasteten Vermögensgegenstandes einzugreifen oder über ihn zu verfügen. Die Ausübung des Nießbrauchs kann einem anderen überlassen werden (§ 1059 S. 2 BGB). Daher kann der Nießbrauch auch gepfändet werden (§ 857 Abs. 3 ZPO).
Bei Immobilien entsteht der Nießbrauch durch Einigung der Parteien und Eintragung im Grundbuch (§ 873 BGB), bei Rechten wie Anteilen an Personen- oder Kapitalgesellschaften durch Einigung der Parteien, wobei die Formvorschriften für die Übertragung des jeweiligen Rechts zu beachten sind. Zwischen dem Nießbraucher und dem Eigentümer entsteht ein gesetzliches Schuldverhältnis mit beiderseitigen Rechten und Pflichten, welche in den §§ 1030 ff. BGB geregelt sind.
In der Beratungspraxis sind häufig die nachfolgenden Ausgestaltungen des Nießbrauchs anzutreffen:
Rz. 2
Vorbehaltsnießbrauch
Beim Vorbehaltsnießbrauch überträgt der bisherige Eigentümer das Eigentum an dem Gegenstand und behält sich dabei gegenüber dem neuen Eigentümer das Nutzungsrecht vor. Dies bedeutet, dass die Nutzungen im Sinne des § 100 BGB weiterhin dem vorigen Eigentümer zustehen (z.B. Miete im Falle einer Immobilie oder eines Gewinnbezugsrechts aus einem Gesellschaftsanteil). Dabei ist der Vorbehaltsnießbrauch als Auflage zulasten des Beschenkten im Rahmen der Schenkung gem. § 525 BGB zu werten.
Als Versorgungsnießbrauch spielt der Nießbrauch insbesondere in der Weise eine Rolle, dass der Eigentümer seine Vermögensgegenstände im Wege der vorweggenommenen Erbfolge schenkweise auf seine Abkömmlinge überträgt, sich daran aber zu seinen Lebzeiten den Nießbrauch vorbehält, um aus den Nutzungen seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Beispiel
Mutter M schenkt an Tochter T zu Lebzeiten in Vorwegnahme der Erbfolge ein Einfamilienhaus. Den Nießbrauch behält sie sich vor.
Rz. 3
Zuwendungsnießbrauch
Beim Zuwendungsnießbrauch bestellt der Eigentümer den Nießbrauch zugunsten eines Dritten. Dies bedeutet, dass der Dritte nunmehr die Nutzungen des Gegenstands ziehen kann.
Beispiel
Mutter M schenkt an Tochter T ein vermietetes Einfamilienhaus. Den Nießbrauch wendet sie jedoch Sohn S zu. Damit erhält S die laufenden Mieterträge.
Rz. 4
Vermächtnisnießbrauch
Ein Vermächtnisnießbrauch liegt vor, wenn aufgrund letztwilliger Verfügung des Erblassers der oder die Erben einem Dritten ein Nutzungsrecht an einem Gegenstand einräumen müssen.
Beispiel
Mutter M vererbt das Einfamilienhaus an Tochter T. Jedoch vermacht sie ihrem Ehemann den Nießbrauch an diesem Einfamilienhaus.
Rz. 5
Mehrere Nießbrauchberechtigte
Oftmals wird der Nießbrauch nicht nur zugunsten einer Person eingeräumt, sondern er soll mehreren Personen zustehen. Der Nießbrauch kann dafür den Berechtigten als Bruchteilsgemeinschaft, als GbR oder als Gesamtgläubiger nach § 428 BGB zustehen. Der Tod eines Nießbrauchsberechtigten hat hier jeweils unterschiedliche Folgen. Soll der Nießbrauch mehreren Personen zustehen, können Zuwendungs- und Vorbehaltsnießbrauch gleichzeitig vorliegen:
Beispiel
Mutter M ist Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses und verschenkt dieses an Tochter T. Maßgabe ist jedoch, dass der Mutter M und dem Vater V als Gesamtberechtigten der Nießbrauch an diesem Einfamilienhaus zusteht. Mit Blick auf M liegt ein Vorbehaltsnießbrauch vor, mit Blick auf V ein Zuwendungsnießbrauch.
Rz. 6
Alternativ ist auch denkbar, dass mehrere Personen nacheinander nießbrauchberechtigt sind. So ist z.B. möglich, dass sich der Eigentümer den Nießbrauch auf Lebenszeit vorbehält und sodann aufschiebend bedingt einer anderen Person (z.B. seinem Ehegatten) den Nießbrauch zuwendet.
Beispiel
Mutter M verschenkt an Tochter T ein Einfamilienhaus. Sie behält sich auf Lebenszeit den Nießbrauch vor. Aufschiebend bedingt auf ihr Versterben wird zudem zugunsten des Ehemanns, des Vaters V, ein Nießbrauchsrecht begründet.
Rz. 7
Quoten- und Bruchteilsnießbrauch
Zulässig ist es, den Nießbrauch auch in der Form einzuräumen, dass der Nießbraucher von den Nutzungen lediglich eine Quote erhalten soll. Der Quotennießbrauch ist vom Bruchteilsnießbrauch nach § 1066 BGB zu unterscheiden. Beim Bruchteilsnießbrauch wird der Nießbrauch am Bruchteil einer Sache oder eines Rechts eingeräumt, wohingegen sich beim Quotennießbrauch der Nießbrauch auf die ganze Sache oder das ganze Recht erstreckt, aber auf einen Teil der Nutzungen beschränkt ist.
Beispiel
Mutter M schenkt an Tochter T ein Einfamilienhaus und behält sich dabei den Nießbrauch zu 60 % vor (Quoten...