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Ob und inwieweit dem Nießbraucher oder dem Gesellschafter das Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung zusteht, ist umstritten. Die unterschiedlichen Auffassungen reichen vom Stimmrecht des Gesellschafters[25] über das Stimmrecht des Nießbrauchers[26] über eine gemeinsame Stimmrechtsausübung bis hin zum Stimmrecht des Nießbrauchers in laufenden Angelegenheiten und einem Stimmrecht des Gesellschafters bei Geschäften, die die Substanz und die Grundlagen der Gesellschaft betreffen.[27] Der BGH hat die Frage des originären Stimmrechts offengelassen und bisher nur entschieden, dass dem Gesellschafter das Stimmrecht für Grundlagengeschäfte nicht genommen werden darf.[28] Die derzeit wohl herrschende Meinung geht davon aus, dass das Stimmrecht – vorbehaltlich abweichender Vereinbarung – beim Gesellschafter verbleibt.[29] Dies wird u.a. damit begründet, dass das Stimmrecht schon begrifflich nicht als Ertrag der Mitgliedschaft und somit nicht als Rechtsfrucht angesehen werden kann.[30] Gegen die Aufspaltung des Stimmrechts zwischen Nießbraucher und Gesellschafter spricht auch die praktische Undurchführbarkeit wegen unlösbarer Abgrenzungsprobleme zwischen nutzungsbezogenen und substanzbezogenen Beschlüssen im Einzelfall.[31] Die Rechtsprechung des BGH zum Nießbrauch an Wohnungseigentum deutet darauf hin, dass der BGH einer gemeinschaftlichen Stimmrechtsausübung sowie einer Aufspaltung der Stimmrechte ablehnend gegenübersteht.[32]

[25] Staudinger/Frank, Neubearbeitung 2009, Anh. zu §§ 1068 f. Rn 72; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Wertenbruch, § 105 HGB Rn 235; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 4 b), S. 560; MüKo/Pohlmann, § 1068 Rn 69 ff.
[26] Spiegelberger, Vermögensnachfolge, Rn 394.
[27] MüKo/Schäfer, § 705 Rn 99; Wälzholz, DStR 2010, 1786, 1790; Frank, MittBayNot 2010, 96, 99.
[29] Staudinger/Frank, Neubearbeitung 2009, Anh. zu §§ 1068 f. Rn 97; MüKo/Pohlmann, § 1068 Rn 69 ff.; Fleischer, ZEV 2012, 466, 467; Kruse, RNotZ 2002, 69, 75; Wälzholz, DStR 2010, 1786, 1790. So auch: OLG Köln, Beschl. v. 7.10.2019 – 18 Wx 18/19, RNotZ 2020, 236; entgegen OLG Stuttgart, Beschl. v. 28.1.2013 – 8 W 25/13, DNotZ 2013, 793.
[30] MüKo/Pohlmann, § 1068 Rn 72.
[31] Frank, MittBayNot 2010, 96, 99; Kruse, RNotZ 2002, 69, 75.

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