I. Typischer Sachverhalt

 

Rz. 70

Der Erblasser E schloss 2013 eine Lebensversicherung ab und bestimmte seine Tochter T als Bezugsberechtigte in seinem Todesfall. Ohne die Bezugsberechtigung vorher zu widerrufen, errichtete er 2016 ein Testament, nach dem nunmehr S als Vermächtnisnehmer die Leistungen aus der Versicherung erhalten sollte. Als E 2022 stirbt, erfährt T erst durch die Testamentseröffnung von der Lebensversicherung. Auf Anforderung von T zahlt die Versicherung die Versicherungssumme aus. S will dies nicht hinnehmen.

II. Rechtliche Grundlagen

1. Allgemeines

 

Rz. 71

Eine nach Abschluss des Versicherungsvertrags eingetretene Änderung rechtlicher oder tatsächlicher Verhältnisse kann dazu führen, dass die Bezugsberechtigung an der Lebensversicherung und die materielle Berechtigung an der Versicherungssumme auseinander fallen. Dann steht dem Erben ein Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) zu.[59]

In einer viel beachteten Entscheidung hat der BGH[60] klargestellt, dass sich die Frage, ob der Bezugsberechtigte die Versicherungsleistung behalten darf, allein aus dem Valutaverhältnis ergibt. Da dieses meist eine Schenkung ist, ist genau zu prüfen, ob eine Schenkung erfolgt bzw. noch zu verhindern ist.

[59] BGH NJW 1987, 3131 = DNotZ 1987, 771.

2. Deckungsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung

 

Rz. 72

Bei einem Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall ist immer streng zwischen dem Deckungs- und dem Valutaverhältnis zu unterscheiden. Während das Deckungsverhältnis nur die Beziehung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung beinhaltet, bezieht sich das Valutaverhältnis auf den Grund für die Begünstigung des Bezugsberechtigten durch den Erblasser.

Kennzeichnend für die Fälle bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung ist die fortgeltende Wirksamkeit des Deckungsverhältnisses. Die nach wie vor bestehende Bezugsberechtigung – und mit ihr die Möglichkeit zur befreienden Leistung durch den Versicherer – ist gerade das Problem, mit dem der Erbe zu kämpfen hat. So tritt beispielsweise die Bezugsberechtigung einer Ehefrau durch die Scheidung ihrer Ehe mit dem Versicherten nicht automatisch außer Kraft.[61]

Eine entsprechende Anwendung von § 2077 BGB hat die Rechtsprechung im Rahmen von Lebensversicherungsverträgen ausdrücklich abgelehnt.[62]

 

Rz. 73

 

Hinweis

Ausnahmsweise kann es natürlich vorkommen, dass der Versicherer trotz wirksamer (!) Änderung der Bezugsberechtigung an die ursprünglich benannte Person auszahlt. In diesem Fall ist vorrangig der Erfüllungsanspruch gegen die Versicherung geltend zu machen.

[61] BGH NJW 1976, 290. Inzwischen wird aber häufig schon die Bezugsberechtigung unter die Bedingung gestellt, dass die Ehe im Zeitpunkt des Versicherungsfalls noch bestehen muss.

3. Valutaverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Bezugsberechtigten

 

Rz. 74

Ein wirksames Deckungsverhältnis ist zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dafür, dass der Bezugsberechtigte die Versicherungsleistung dauerhaft behalten darf. Hierfür ist weitere Voraussetzung ein Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer (bzw. dessen Erben) und dem Bezugsberechtigten.

 

Rz. 75

In den meisten Fällen kann man als Rechtsgrund für die Zuwendung eine Schenkung annehmen. Da ein Schenkungsvertrag in Ermangelung notarieller Form erst mit Bewirkung der Leistung zustande kommt, handelt es sich genau genommen um ein Schenkungsangebot, das der Bezugsberechtigte auch mit dem Leistungsverlangen an die Versicherung konkludent annehmen kann. Zur Möglichkeit des Widerrufs des Schenkungsangebots durch die Erben siehe Rdn 80 ff.

 

Rz. 76

Als Rechtsgründe kommen weiter in Betracht:

eine Pflichtschenkung,[63]
die Vergütung von Diensten,
eine Leistung von Unterhalt,[64]
eine Altersabsicherung oder
eine unbenannte/ehebezogene Zuwendung.[65]

In der Literatur wurden mit interessanter Begründung kürzlich zwei weitere Rechtsgründe vorgeschlagen:

ein Vermächtnis[66] oder
ein Anspruch auf Geschäftsführung ohne Auftrag.[67]

Ob diese Gründe aber von der Rechtsprechung anerkannt werden (was mutige Rechtsanwälte voraussetzt, die entsprechend vortragen), bleibt abzuwarten.

[63] BGH FamRZ 1982, 165.
[64] BGH NJW 1979, 1822.
[65] BGH NJW 1985, 1082: Durch die Annahme der Möglichkeit einer unbenannten Zuwendung gibt der BGH dem geschiedenen Ehegatten eine Beweislasterleichterung. Die Existenz und Reichweite von unbenannten Zuwendungen sind aber im Einzelnen sehr umstritten. Sie bieten daher reichlich Argumentationsstoff für den Rechtsanwalt, der den Bezugsberechtigten vertritt.
[66] Strobel, ZEV 2019, 505.
[67] Daragan, ZEV 2020, 142.

4. Wegfall des Rechtsgrundes

a) Wegfall durch letztwillige Verfügung des Erblassers

 

Rz. 77

Einen lebzeitigen Wechsel der Person des Bezugsberechtigten kann der Versicherungsnehmer grundsätzlich jederzeit vornehmen. Dann leistet die Versicherung an den neuen Bezugsberechtigten, die Frage einer Rückforderung stellt sich dann nicht. Eine Änderung der Bezugsberechtigung ist im Deckungsverhältnis zwingend dem Versicherer mitzuteilen.

Es kann aber vorkommen, dass der Versicherungsnehmer nur in seinem Testament die Bezugsberechtigung ändert. Die Vorschrift des § 332 BGB, der dies auch in Form einer letztwilligen Verfügung...

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