Dieter Trimborn van Landenberg
Rz. 90
Fällt die Leistung der Lebensversicherung in den Nachlass (vgl. Rdn 31 ff.), handelt es sich um eine ganz normale Nachlassforderung, die keine Besonderheiten aufweist. Wird hingegen die Versicherungsleistung außerhalb des Nachlasses gezahlt, kann es zu Problemen mit Vertragserben und Pflichtteilsberechtigten kommen.
I. Beeinträchtigung des Vertragserben gem. § 2287 BGB
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 91
Die Eheleute M und F haben sich gegenseitig zu alleinigen Vertragserben eingesetzt. M hat zugunsten der gemeinsamen Tochter T eine Lebensversicherung abgeschlossen. T erhält nach Tod des M daraus 200.000 EUR. Da kein nennenswerter Nachlass vorhanden ist, möchte F von T das Geld aus der Lebensversicherung haben.
2. Rechtliche Grundlagen
Rz. 92
Liegt in der Einräumung des Bezugsrechts eine Schenkung, kann darin eine beeinträchtigende Schenkung gem. § 2287 BGB zu sehen sein, wenn der Erblasser durch einen Erbvertrag oder ein gemeinschaftliches Testament (§§ 2270, 2271 BGB) gebunden war.
Ein praktisches Problem besteht oft darin, dass dem Vertragserben das Bestehen eines Lebensversicherungsvertrags nicht bekannt sein wird. Falls der Vertrag schon abgewickelt, d.h. die Leistung schon erbracht wurde, stehen dem Erben regelmäßig keine Auskunftsrechte gegenüber der Versicherung zu. Gleichwohl hat er gegenüber dem Bezugsberechtigten ein Auskunftsrecht gem. § 242 BGB (vgl. § 21 Rdn 87 ff.).
II. Rechte von Pflichtteilsberechtigten an der Lebensversicherung
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 93
Erblasser E wurde von seiner Tochter T als gesetzliche Alleinerbin beerbt. Der Nachlasswert beträgt netto 10.000 EUR. E hat seiner Lebensgefährtin L an seiner Lebensversicherung das Bezugsrecht eingeräumt. Sie erhält nach seinem Tod daraus 100.000 EUR. E hatte während der Vertragslaufzeit insgesamt 5.000 EUR an Prämien eingezahlt. T möchte wissen, ob und ggf. in welcher Höhe sie von L eine Zahlung verlangen kann.
2. Rechtliche Grundlagen
a) Allgemeines
Rz. 94
Zunächst ist klarzustellen, dass ein nicht in den Nachlass fallender Lebensversicherungsanspruch – ungeachtet der Höhe – grundsätzlich pflichtteilsneutral ist, also keine Pflichtteilsansprüche auslöst.
Wird aber ein enterbter Pflichtteilsberechtigter vom Erblasser zum Bezugsberechtigten einer Lebensversicherung eingesetzt, stellt sich die Frage der Anrechenbarkeit dieser Schenkung. Eine Anrechnung gem. § 2315 BGB findet nur statt, wenn diese ausdrücklich vereinbart wurde, was regelmäßig nicht der Fall sein dürfte. Da es sich bei der Anrechnungsbestimmung um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, kann allein in der Benennung des Bezugsberechtigten keine konkludente Anrechnungsbestimmung gesehen werden. Eine Anrechnungsbestimmung im Testament ist ebenfalls unwirksam, da verspätet.
Im seltenen Fall einer wirksamen Anrechnungsbestimmung ist bei Kapitallebensversicherungen der Wert der Zuwendung strittig. § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB stellt auf den Wert im Zeitpunkt der Zuwendung ab (vgl. Rdn 96).
Bei schenkweiser Zuwendung des Versicherungsanspruchs an einen bezugsberechtigten Dritten kommt ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. § 2325 BGB in Betracht. Da die in diesem Zusammenhang typischen Fragestellungen anderweitig vertieft werden (vgl. § 17 Rdn 146 ff.), soll es hier nur um zwei Fragen gehen, die typischerweise im Zusammenhang mit einer Schenkung in Form einer Lebensversicherung auftreten.
b) Vorliegen einer Schenkung
Rz. 95
In vielen Fällen wird die Bestimmung eines Bezugsberechtigten ohne weiteres als eine Schenkung anzusehen sein. Es gibt aber auch Lebensversicherungsverträge, bei denen keine Schenkung anzunehmen ist und die deshalb auch nicht der Pflichtteilsergänzung unterliegen. Dies gilt insbesondere, wenn die Lebensversicherung zur Altersversorgung des Bezugsberechtigten bestimmt ist, wie dies bei Ehegatten häufig der Fall sein wird.
Eine Ergänzung kommt auch nicht in Betracht, wenn mit der Begünstigung durch die Lebensversicherung eine Vergütung von Diensten oder eine andere Gegenleistung verbunden war.
c) Bewertung des Schenkungsgegenstands
Rz. 96
Nach früherer Rechtsprechung war nur die Summe der gezahlten Prämien als Schenkungsgegenstand anzusehen, weil der Erblasser nur diesen Betrag aufgewendet hatte. Eine Unterscheidung zwischen widerruflicher und unwiderruflicher Bezugsberechtigung wurde nicht getroffen.
Eine Entscheidung des für das Insolvenzrecht zuständigen 9. Zivilsenats des BGH stellte diese Rechtsprechung in Frage. In diesem Urteil ging es um den Umfang des Anfechtungsrechts des Nachlassinsolvenzverwalters gegen den Bezugsberechtigten einer Lebensversicherung. Unter ausdrücklicher Ablehnung der bisherigen Rechtsauffassung führt das Gericht aus, dass nicht entscheidend sei, welche Mittel der Versicherungsnehmer erbracht, sondern welche Leistung der Versicherer bewirkt habe. Mittelbare Leistungen seien so zu behandeln, als habe die Lebensversicherung an den Schuldner (= Erblasser/Versicherungsnehmer) geleistet und dieser dann an den Gläu...