Dr. Burkhard Göpfert, Maximilian Melles
Rz. 41
Nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB findet durch den Betriebsübergang eine Transformation von Regelungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen auf die Ebene des Einzelarbeitsverhältnisses statt mit einer gleichzeitigen einjährigen Veränderungssperre zum Nachteil des Arbeitnehmers. Kollektivvertragliche Regelungen verlieren also ihre Rechtsnatur als Betriebsvereinbarungen und als Tarifverträge und damit ihre unmittelbare und zwingende Wirkung (§ 4 Abs. 1 TVG, § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Sie gelten beim Erwerber nur noch wie individualvertragliche Regelungen und gehen mit dem Inhalt in die Arbeitsverträge ein, den sie im Zeitpunkt des Betriebsübergangs hatten.
Nach Ablauf der einjährigen Veränderungssperre können die transformierten Regelungen im Wege der individualvertraglichen Änderungskündigung geändert werden. Für eine Änderungskündigung bestehen jedoch sehr hohe Wirksamkeitsanforderungen. Die Veränderungssperre gilt allerdings nicht ggü. der Neuregelung der Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarungen.
Rz. 42
Es gibt zwei Fallkonstellationen, in denen es trotz der gesetzlichen Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zu einer kollektivrechtlichen Fortgeltung kommt:
a) Betriebsvereinbarungen
Rz. 43
Für den Bereich des Betriebsverfassungsrechts ist anerkannt, dass Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang beim neuen Betriebsinhaber als Betriebsvereinbarungen, d.h. auf kollektiver Grundlage, weitergelten (vgl. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG), wenn durch den Betriebsübergang die Identität des Betriebs nicht verändert wird. Dementsprechend gelten Betriebsvereinbarungen kollektiv weiter, wenn der gesamte Betrieb mit seiner bisherigen Organisationsstruktur übertragen wird.
Nach der Rspr. des BAG soll eine kollektivrechtliche Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen auch dann in Betracht kommen, wenn nicht ein gesamter Betrieb übernommen wird, sondern der Betrieb aufgespalten und nur einzelne Teile des Betriebs übertragen werden. Nach dem Urteil des BAG vom 18.9.2002 gelten in einem durch Betriebsübergang übertragenen Betriebsteil, der beim Erwerber als selbstständiger Betrieb fortgeführt wird, die im ursprünglichen Betrieb bestehenden Einzel- und Gesamtbetriebsvereinbarungen normativ, d.h. als Betriebsvereinbarungen, weiter.
b) Tarifverträge
Rz. 44
Zu einer kollektivrechtlichen Fortgeltung von Tarifnormen kommt es, soweit Betriebserwerber und Arbeitnehmer nach § 3 TVG tarifgebunden sind. Wichtigste Voraussetzung dafür ist die Mitgliedschaft des Übernehmers im Arbeitgeberverband, der den Tarifvertrag abgeschlossen hat. Weiterhin gilt ein nach § 5 TVG allgemeinverbindlicher Tarifvertrag unabhängig von der Tarifgebundenheit fort, sofern nicht der Betriebserwerber durch Änderung des Betriebszwecks aus dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages oder aus der Zuständigkeit der bisher maßgeblichen Tarifparteien herausfällt.
c) Beim Betriebserwerber vorhandene kollektivrechtliche Regelungen
Rz. 45
Ausgeschlossen ist die Weitergeltung i.S.d. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gem. Satz 3, wenn die Materie beim Betriebserwerber bereits geregelt ist. Dies gilt auch für den Fall, dass die tariflichen Arbeitsbedingungen lediglich aufgrund arbeitsvertraglicher Inbezugnahme gelten. Hintergrund dieser Rspr. ist der Gedanke, dass dem Betriebserwerber die Möglichkeit zur Anpassung der Arbeitsbedingungen der übernommenen Arbeitsverhältnisse an bestehende kollektive Regelungen gegeben werden soll. Erforderlich ist, dass sowohl beim Betriebsveräußerer als auch beim -erwerber inhaltlich bezogen auf dieselbe Materie Regelungen bestehen.
d) Bezugnahmeklauseln
Rz. 46
Das BAG legte arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, die auf den für den Arbeitgeber geltenden Tarifvertrag verweisen, nach bisheriger Rspr. grds. als sog. "Gleichstellungsabreden" aus.
Dem liegt der folgende Gedanke zugrunde: Der Arbeitgeber weiß nicht, welche seiner Mitarbeiter Mitglieder der zuständigen Gewerkschaft sind. Ist er selbst Mitglied im Arbeitgeberverband, muss er in den Arbeitsverhältnissen der Gewerkschaftsmitglieder die Tarifverträge anwenden. Er will die gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeitnehmer nicht anders behandeln als die Gewerkschaftsmitglieder. Die Gleichstellungsabreden (Bezugnahme auf den Tarifvertrag) haben also den Zweck, jeden Arbeitnehmer so zu behandeln, als wäre er Gewerkschaftsmitglied. Bisher wirkte sich ein Betriebsübergang auf diese Bezugnahmeklauseln wie folgt aus:
Rz. 47
Übertrug der Arbeitgeber den Betrieb oder einem Betriebsteil auf einen nicht-tarifgebundenen Arbeitgeber, galten künftige Tarifabschlüsse in den Arbeitsverhältnissen der Gewerkschaftsmitglieder nicht mehr. Die bisherigen tariflichen Arbeitsbedingungen wurden "eingefroren". Auch bei den nicht organisierten Arbeitnehmern wurden die tariflichen Arbeitsbe...