Dr. Burkhard Göpfert, Maximilian Melles
Rz. 79
Kommt der Interessenausgleich nicht zustande, kann der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersucht werden (§ 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Überwiegend wird die Meinung vertreten, dass der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit von beiden Parteien auch von vornherein ermächtigt werden kann, eine verbindliche Entscheidung zu treffen. Jedenfalls ist die Einschaltung des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit fakultativ. Ihr Unterbleiben hat keine Rechtsfolgen nach § 113 BetrVG und ist in der Praxis die Ausnahme.
Rz. 80
Wird der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit nicht um Vermittlung ersucht oder bleibt der Vermittlungsversuch ergebnislos, können Unternehmer oder Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen (§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Zwar ergibt sich aus dem Gesetz keine Verpflichtung zur Anrufung der Einigungsstelle. Jedoch ist die Obliegenheit zur Verhandlung des Interessenausgleichs vor der Einigungsstelle seit der Entscheidung des BAG vom 18.12.1984 gefestigter Stand von Rspr. und Lit.. Die Gerichte gehen seit dieser Entscheidung davon aus, dass der zur Vermeidung von Nachteilsausgleichsansprüchen erforderliche Versuch eines Interessenausgleichs nach § 113 Abs. 3 BetrVG auch das Verfahren vor der Einigungsstelle einschließt. Ausnahmen von der Verpflichtung des Arbeitgebers, notfalls die Einigungsstelle anzurufen, kommen nach der Rspr. des BAG nur dann in Betracht, wenn der Betriebsrat seine Tätigkeit gänzlich eingestellt hat oder der Betriebsratsvorsitzende trotz eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses über die Zustimmung zur Betriebsänderung dem Verlangen des Arbeitgebers nach schriftlicher Niederlegung nicht nachkommt.
Rz. 81
Abgesehen von dieser Ausnahme kann der Arbeitgeber die Interessenausgleichsverhandlungen jederzeit – auch vor Einschaltung der Einigungsstelle – abbrechen, wenn er die Nachteilsausgleichsansprüche (§ 113 BetrVG) in Kauf nimmt. Er läuft allerdings Gefahr, dass der Betriebsrat versuchen könnte, die Durchführung der Betriebsänderung zu blockieren, indem er einen Unterlassungsanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend macht (Rdn 74). Ohnehin ist in der Praxis die Furcht vor einer Unterlassungsverfügung für viele Arbeitgeber bereits Antrieb genug, das Interessenausgleichsverfahren durchzuführen.
Rz. 82
Die Einigungsstelle hat auf eine Einigung hinzuwirken, die, wenn sie zustande kommt, schriftlich niederzulegen und von den Parteien und dem Vorsitzenden zu unterschreiben ist (§ 112 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BetrVG). Die Einigungsstelle besteht gem. § 76 BetrVG aus einer gleichen Zahl von Beisitzern, die von den Betriebspartnern bestellt werden und einem unparteiischen Vorsitzenden. Grds. "müssen" (besser "sollen") sich die Betriebspartner einigen. Wird zwischen ihnen über die Person des Vorsitzenden und/oder die Zahl der Beisitzer jedoch keine Einigung erzielt, so entscheidet das ArbG im Beschlussverfahren (§ 76 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 BetrVG). Bei seiner Entscheidung hat der Vorsitzende des Gerichts insb. auf die Unparteilichkeit des zu bestellenden Vorsitzenden der Einigungsstelle sowie darauf zu achten, dass er das Vertrauen beider Parteien genießt. Der Beschluss des Gerichts soll den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags zugestellt werden (§ 100 Abs. 1 Satz 6 ArbGG).
Rz. 83
Unternehmer und Betriebsrat sollen der Einigungsstelle Vorschläge zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten über den Interessenausgleich und den Sozialplan machen. Die Einigungsstelle hat eine Einigung der Parteien zu versuchen (§ 112 Abs. 3 BetrVG). Die Vorschläge der Betriebspartner können, v.a. auch auf Wunsch des Einigungsstellenvorsitzenden, selbstverständlich schriftsätzlich erfolgen. Es genügt aber auch, dass sich beide Betriebspartner während des Einigungsstellenverfahrens mündlich äußern. Dabei ist jeder Betriebspartner verpflichtet, seinen Standpunkt begründet darzulegen. Bei reiner Kritik oder nur unsinnigen Alternativvorschlägen ist das Verfahren unverzüglich einzustellen. Zu weit geht es wohl, wenn Pünnel in diesem Zusammenhang früher meinte, die Einigungsstelle solle – gerade weil es sich um kein erzwingbares Einigungsstellenverfahren handelt – mehr noch als in anderen Verfahren auf eine gütliche Einigung der Betriebspartner hinwirken und "hierbei weder Mühe noch Zeit scheuen". Zuzustimmen ist aber jedenfalls der Ansicht, dass die Einigungsstelle in einem solchen Fall möglichst versuchen solle, in die Verhandlung des Sozialplans überzuleiten. Das Einigungsstellenverfahren darf sich überdies nicht zu lange hinziehen. Vielmehr ist es einzustellen, wenn ersichtlich ist, dass keine Einigung zu erzielen ist.