Dr. Burkhard Göpfert, Maximilian Melles
Rz. 31
Nach der Rspr. des BAG liegt ein Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung.
Der EuGH und das BAG betonten dabei in ständiger Rspr., dass die im Wesentlichen unveränderte Fortführung der organisierten Einheit "Betrieb" bei dem neuen Inhaber unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Falls zu entscheiden ist. In seiner Entscheidung vom 12.2.2009 hat der EuGH klargestellt, dass ein Betriebsübergang auch dann gegeben ist, wenn die Organisationsstruktur der übertragenen Einheit geändert wird. Damit dürfte die Wahrung der bisherigen Organisation der verschiedenen übertragenen Produktionsfaktoren durch den Erwerber keine notwendige Voraussetzung für die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit bilden. Stattdessen stellt der EuGH maßgeblich auf die "Beibehaltung der funktionellen Verknüpfung der Wechselbeziehungen und gegenseitigen Ergänzung" zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren ab.
Diese Rspr. des EuGH steht in einem gewissen Widerspruch zur bisherigen Rspr. des BAG, wonach die vollständige Eingliederung des übertragenen Betriebsteils in die Organisationsstruktur des Erwerbers einem Betriebsübergang entgegenstand. Nach der Entscheidung des EuGH kann ein Betriebsübergang auch dann vorliegen, wenn der übertragene Unternehmens- oder Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit nicht bewahrt, sondern in die beim Erwerber vorhandene Organisationsstruktur eingegliedert wird. Allerdings muss dabei die funktionale Verknüpfung zwischen übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten werden, die es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. Das BAG hat sich dieser Rspr.-Änderung inzwischen angeschlossen und die Argumentation des EuGH – ohne vertiefte Auseinandersetzung mit dessen Urteil – übernommen.
Will der Erwerber einen Betriebsübergang vermeiden, wird er danach noch mehr als bisher den Produktionsablauf verändern und die Produktionsmittel möglichst "atomisiert" an verschiedene Stellen seiner Produktion verteilen müssen. Eine bloße organisatorische Änderung ohne Auswirkungen auf den Produktionsablauf wird demgegenüber nicht mehr genügen, um einen Betriebsübergang zu verhindern.
Rz. 32
Der EuGH und das BAG legen der Prüfung, ob eine ihre Identität wahrende wirtschaftliche Einheit übergegangen ist, zumindest folgende sieben Kriterien zugrunde:
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Art des betreffenden Betriebs oder Unternehmens, |
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Übergang der materiellen Betriebsmittel, wie etwa Gebäude und bewegliche Güter, sowie deren Wert und Bedeutung, |
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Übernahme der immateriellen Betriebsmittel und der vorhandenen Organisation, |
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Grad der Ähnlichkeit mit der Betriebstätigkeit des bisherigen Inhabers, |
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Weiterbeschäftigung der Hauptbelegschaft durch den Erwerber, |
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Übergang von Kundschaft und Lieferantenbeziehungen, |
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Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit. |
Je nach der ausgeübten Tätigkeit kann den genannten Indizien unterschiedliches Gewicht zukommen. So kann es in Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, genügen, wenn ein nach Zahl und Sachkunde wesentlicher Teil des Personals übernommen wird. Dagegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen Auftragnehmer (sog. Funktionsnachfolge) als solche keinen Betriebsübergang dar.