Dr. Burkhard Göpfert, Maximilian Melles
Rz. 26
Ein weiterer zentraler Bereich des Arbeitsrechts sind die Regelungen, die Anwendung finden, wenn der Arbeitgeber einen Betrieb oder Betriebsteil an einen neuen Inhaber veräußert.
Rz. 27
Grds. sind bei Unternehmensumstrukturierungen folgende Möglichkeiten denkbar:
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Die Geschäftsanteile eines Unternehmens werden veräußert ("share deal"). Dies ist kein Fall des Betriebsübergangs, da die Arbeitsverhältnisse ohnehin mit dem so veräußerten Rechtsträger verbunden sind. |
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Die Geschäftsanteile eines Unternehmens werden nicht veräußert, allerdings wechselt der Gesellschafter. Auch hier werden die Arbeitsverhältnisse nicht berührt. Im Einzelfall liegt aber eine "sonstige wirtschaftliche Angelegenheit" der Gesellschaft vor, die Mitbestimmungsrechte des Wirtschaftsausschusses nach sich ziehen kann (s.u. Rdn 56 ff.). |
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Das Unternehmen wird ganz oder teilweise einem Vorgang nach dem Umwandlungsrecht unterworfen, wie z.B. Verschmelzung, Ausgliederung usw. § 324 UmwG enthält eine Rechtsgrundverweisung. Das bedeutet, dass die Voraussetzungen des Betriebsübergangs bei einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung selbstständig zu prüfen sind. Jedenfalls verweisen die umwandlungsrechtlichen Vorschriften insoweit auf § 613a BGB. Hier liegt im Regelfall ein Betriebsübergang vor. |
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Die Einzelrechtsübertragung ("asset deal") stellt den häufigsten Anwendungsfall der Regelungen über den Betriebsübergang dar. |
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Schließlich ist umstritten und im Einzelfall schwierig abgrenzbar, ob Fälle der sog. Funktionsnachfolge (bspw. beim "Auftragnehmerwechsel" oder "Lizenznehmerwechsel") auch in den Schutzbereich des § 613a BGB fallen. |
Für das Verständnis des Folgenden ist es zentral, sich immer den Schutzzweck der Regelung des § 613a BGB vor Augen zu halten. Der Arbeitgeber soll sich durch Veräußerung von Einzelvermögensgegenständen, die insgesamt einen Betrieb oder Betriebsteil bilden, gerade nicht den damit verbundenen Arbeitsverhältnissen entziehen können. Ohne § 613a BGB könnte er sonst wegen Wegfall der Arbeitsplätze betriebsbedingt kündigen. Vielmehr gehen die Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes auf den neuen Inhaber des Betriebs oder Betriebsteils über. Das gilt nur dann nicht, wenn ein Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widerspricht. Entscheidet sich der Arbeitnehmer so gegen den neuen Arbeitgeber – was letztlich Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts ist – verbleibt das Arbeitsverhältnis beim früheren Betriebsinhaber, ist dort aber mit dem Risiko einer betriebsbedingten Kündigung wegen Wegfall des Arbeitsplatzes behaftet.
Rz. 28
Geht "das Arbeitsverhältnis" dagegen über, weil der Arbeitnehmer nicht widerspricht, ist der neue Inhaber an die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis gebunden. Das gilt jedoch nur, wenn auch der Tatbestand eines Betriebsübergangs erfüllt ist.
Hinweis
In der Praxis "stürzen" sich Juristen häufig auf die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs, ohne zunächst sorgfältig zu prüfen, ob nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt überhaupt ein Betriebsübergang vorliegt.
I. Tatbestand eines Betriebsübergangs gem. § 613a BGB
Rz. 29
Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den vom Übergang betroffenen Arbeitsverhältnissen ein.
1. Betriebsinhaberwechsel
Rz. 30
Die erste Voraussetzung ist der Wechsel des Betriebsinhabers, d.h. es muss eine Änderung in der Person desjenigen erfolgen, der über die arbeitsrechtliche Organisations- und Leitungsmacht verfügt. Diese Voraussetzung wird nicht erfüllt durch bloße Veränderungen in der Rechtsform eines Betriebsinhabers oder bei Wechsel von Gesellschaftern.
Ein Betriebsinhaberwechsel liegt auch im Fall des Pächterwechsels vor sowie bei der Betriebsaufspaltung in Besitz- und Betriebsgesellschaft oder der Verschmelzung von Gesellschaften (vgl. § 324 UmwG und Rdn 27).
a) Fortführung einer wirtschaftlichen Einheit
Rz. 31
Nach der Rspr. des BAG liegt ein Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung.
Der EuGH und das BAG betonten dabei in ständiger Rspr., dass die im Wesentlichen unveränderte Fortführung der organisierten Einheit "Betrieb" bei dem neuen Inhaber unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Falls zu entscheiden ist. In seiner Entscheidung vom 12.2.2009 hat der EuGH klargestellt, dass ein Betriebsübergang auch dann gegeben ist, wenn die Organisationsstruktur der übertragenen Einheit geändert wird. Damit dürfte die Wahrung der bisherigen Organisation der verschiedenen übertragenen Produktionsfaktoren durch den Erwerber keine notwendige Voraussetzung für die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit bilde...