Dr. Burkhard Göpfert, Maximilian Melles
Rz. 67
Liegt danach eine wirtschaftliche Angelegenheit vor, prüft der Betriebsrat, ob sich hieraus Beteiligungsrechte nach §§ 111–113 BetrVG ergeben. Ist dies der Fall, führen Unternehmer und Betriebsrat Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen. Diese Verhandlungen werden nachfolgend eingehend erläutert.
Rz. 68
Die §§ 111–113 BetrVG regeln die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder einen erheblichen Teil der Belegschaft zur Folge haben können.
Der Interessenausgleich regelt das "Ob", den Zeitpunkt und den Umfang der wirtschaftlichen Maßnahme. Dagegen soll der Sozialplan die wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern aufgrund der Betriebsänderung entstehen, ausgleichen oder mildern.
Hinweis
In der Praxis werden die Verhandlungsgegenstände von Interessenausgleich und Sozialplan häufig nicht korrekt voneinander getrennt. So enthalten Sozialpläne vielfach Regelungen, die nicht dem Ausgleich oder der Milderung entstehender wirtschaftlicher Nachteile dienen, sondern die Vermeidung solcher Nachteile zum Inhalt haben, indem Kündigungsverbote normiert, Versetzungs- oder Umschulungspflichten begründet oder ähnliche Maßnahmen vorgeschrieben werden. Das BAG geht zutreffend davon aus, dass das so lange unschädlich ist, wie sich die Betriebspartner auf einen solchen "Sozialplan" freiwillig einigen. Der "Sozialplan" enthält dann unabhängig von seiner Bezeichnung und unabhängig davon, ob sich die Betriebspartner dessen bewusst sind, Teile eines einvernehmlichen Interessenausgleichs. Entscheidet jedoch die Einigungsstelle verbindlich über den Sozialplan, können solche Regelungen nicht Gegenstand ihres Spruches sein.
1. Vorliegen einer "Betriebsänderung"
Rz. 69
Die in § 111 Satz 3 BetrVG gesetzlich geregelten Fälle einer Betriebsänderung sind:
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Nr. 1: Einschränkung bzw. Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen. Eine Betriebsstilllegung liegt vor, wenn die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder jedenfalls für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht erhebliche Zeitspanne eingestellt wird. Eine Betriebseinschränkung liegt vor, wenn der Betriebszweck zwar weiter verfolgt wird, dies jedoch unter einer nicht nur vorübergehenden Herabsetzung der Betriebsleistung geschieht (Personalabbau). Ob ein wesentlicher Betriebsteil betroffen ist, richtet sich wiederum nach den Zahlenwerten des § 17 Abs. 1 KSchG. |
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Nr. 2: Die Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen. Verlegung ist jede wesentliche Veränderung der örtlichen Lage des Betriebs bzw. von wesentlichen Betriebsteilen. Die Anforderungen sind gering; die Rspr. hat schon bei einem Umzug von 4,3 km vom Zentrum an den Stadtrand eine Verlegung bejaht. |
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Nr. 3: Der Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder Spaltung von Betrieben. Die Zusammenfassung zweier bislang selbstständiger Betriebe kann entweder durch die Aufnahme eines Betriebs in die bestehende betriebliche Organisation oder durch die Bildung einer gänzlichen neuen Betriebseinheit erfolgen. Im Zusammenhang mit der Neuregelung des Umwandlungsrechts vom 1.1.1995 ist das Merkmal der Spaltung von Betrieben in den Tatbestand aufgenommen worden. |
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Nr. 4: Die grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen. Grundlegend ist jede Änderung, die nicht nur einer laufenden Verbesserung entspricht, sondern maßgebliche Auswirkungen auf den Betriebsablauf hat. Es muss eine erhebliche Bedeutung für das betriebliche Gesamtgeschehen erkennbar sein. |
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Nr. 5: Die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren. |
Rz. 70
Betriebsverfassungsrechtliche Relevanz haben Betriebsänderungen nur in Unternehmen mit i.d.R. mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern. Nach der Rspr. des BAG wurden unter bestimmten Voraussetzungen hierbei nicht nur Arbeitnehmer des Unternehmens, sondern auch Leiharbeitnehmer berücksichtigt. Das ergibt sich nun eindeutig aus § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG. Weitere zwingende Voraussetzung ist das Bestehen eines Betriebsrates des von der Maßnahme betroffenen Betriebs. Es muss sich um eine geplante Betriebsänderung handeln. Der Begriff der Planung ist allein in zeitlicher Hinsicht zu verstehen.
Durch die Betriebsänderung müssen wesentliche Nachteile für zumindest erhebliche Teile der Belegschaft entstehen. Dieses Tatbestandsmerkmal ist durch die Rspr. des BAG nahezu bedeutungslos geworden. Das BAG geht davon aus, dass jedenfalls hinsichtlich der in § 111 Satz 3 BetrVG aufgeführten Betriebsänderungen ein wesentlicher Nachteil fingiert wird.
Von der Betriebsänderung müssen entweder die gesamte Belegschaft des Betriebs oder zumindest erhebliche Teile betroffen sein. Das BAG greift auf die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG zurück. In Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern geht der Rückgriff auf § 17 Abs. 1 KSchG ins Leere;...