Rz. 54
Für Klagen aus unerlaubten Handlungen ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist (§ 32 ZPO). Zweck dieser Regelung ist es, einen Gerichtsstand dort zu eröffnen, wo die sachliche Aufklärung und Beweiserhebung in der Regel am besten, sachlichsten und mit den geringsten Kosten erfolgen kann. Der Wahlgerichtsstand der unerlaubten Handlung ist für das Unfallhaftpflichtrecht von zentraler Bedeutung.
a) Unerlaubte Handlung (sachlicher Anwendungsbereich)
Rz. 55
Mit "unerlaubten Handlungen" erfasst der Gerichtsstand nicht nur Ansprüche aus Delikt (§§ 823 ff. BGB), sondern auch die Haftung aus einem Schiffsunfall (§§ 735–739 HGB, § 92 BinSchG) sowie die gesetzliche Gefährdungshaftung (insbesondere: §§ 7, 18 StVG, §§ 1 ff. HPflG, § 33 LuftVG, § 89 WHG, § 25 AtomG, § 84 AMG und § 32 GenTG). Für die örtliche Zuständigkeit im Falle der Gefährdungshaftung sind allerdings vielfach gesonderte, wenn auch nicht ausschließliche gesetzliche Regelungen vorhanden, die einen Gerichtsstand am jeweiligen Tatort vorsehen (siehe unten Rdn 107 ff.). Für die Gefährdungshaftung aus einer Umwelteinwirkung (§§ 1 f. UmweltHG) ist jedoch ein ausschließlicher Gerichtsstand gegeben (§ 32a ZPO; siehe unten Rdn 71 ff.).
b) Parteien (persönlicher Anwendungsbereich)
Rz. 56
Die Zuständigkeit am Begehungsort ist unabhängig davon gegeben, wer als Kläger den deliktischen Anspruch verfolgt. Der Gerichtsstand ist daher nicht nur für den Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner und für den Direktanspruch gegen dessen Versicherer (§ 115 Abs. 1 S. 1 VVG) begründet, sondern auch für den Rückgriff des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherers gegen den Versicherten (§ 117 Abs. 5 VVG) und die Inanspruchnahme des Schädigers durch den Sozialversicherungsträger (§ 116 SGB X) oder den Arbeitgeber des Verletzten (§ 6 Abs. 1 EFZG). Ebenso kann ein den Gläubiger befriedigender Gesamtschuldner dessen auf ihn übergegangenen Anspruch aus unerlaubter Handlung gegen die übrigen Schuldner (§ 426 Abs. 2 BGB) im deliktischen Gerichtsstand geltend machen. Ob der – interne – Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 Abs. 1 BGB) eine solche Zuständigkeit begründet, wenn Anlass seiner Entstehung eine unerlaubte Handlung war, ist umstritten. Beruft sich der Kläger auf beide Ansprüche (§ 426 Abs. 1 und 2 BGB), handelt es sich jedenfalls um einen einheitlichen Streitgegenstand, der am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung verfolgt werden kann.
Rz. 57
Beklagte können im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung Alleintäter, Mittäter, Anstifter, Gehilfen (§ 830 Abs. 1 und 2 BGB) und deren Rechtsnachfolger sowie Personen, die für unerlaubte Handlungen anderer einzustehen haben (insbesondere nach §§ 831, 832, 834 BGB), sein.
c) Begehungsort
Rz. 58
Begehungsort der unerlaubten Handlung ist sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort, so dass eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo die Verletzungshandlung begangen oder wo in ein geschütztes Rechtsgut eingegriffen wurde. Bei dem Ort, an dem lediglich ein über die Verletzung des geschützten Rechtsguts hinausgehender Schaden oder weitere Schadensfolgen eingetreten sind (Schadensort), handelt es sich dagegen grundsätzlich nicht um einen zuständigkeitsbegründenden Begehungsort. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsverletzung gehört, die unerlaubte Handlung ohne ihn also nicht vollendet wäre, beispielsweise wenn das Vermögen als solches – wie bei Amtspflichtverletzungen (§ 839 BGB), Betrug (§ 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB) oder sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) – das geschützte Rechtsgut ist. Denn dann liegt auch dort ein Erfolgsort, wo das Vermögen belegen ist.
Rz. 59
Bei Gesundheitsbeschädigungen und Körperverletzungen ist folglich für den Erfolgsort der Ort der – unmittelbaren – Primärverletzung maßgeblich, nicht dagegen, wo bloße Auswirkungen einer (bereits vollendeten) Körperverletzung eintreten. Am Wohnsitz eines an Körper oder Gesundheit Verletzten...