Rz. 1
Zitat
"Die Funktion des Rechts im Allgemeinen besteht nun darin sich zu verwirklichen. Was sich nicht realisiert, ist kein Recht."
Rudolf von Jhering
I. Justizgewährungsanspruch
Rz. 2
Materielle Ansprüche, wie die in den vorstehenden Kapiteln aufgezeigten, sind ohne Möglichkeit zur Durchsetzung wertlos. Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) gebietet daher die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, der die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung eines Streitgegenstandes und dessen verbindliche Entscheidung durch einen Richter ermöglicht.
Rz. 3
Da Schadensereignisse allerdings zahlreiche unterschiedliche Rechtsbeziehungen des Geschädigten – beispielsweise zum Schädiger, zu dessen und zum eigenen Versicherer, zu Arbeitgebern, Rettern, Ärzten und Krankenhausträgern, zum Staat und anderen mehr – begründen oder konkretisieren können, sind die prozessualen Voraussetzungen für die Geltendmachung von Ansprüchen, die sich im Zusammenhang mit der Haftung für einen Unfall und seine Folgen ergeben, entsprechend vielfältig.
II. Zulässigkeit der Klage
Rz. 4
Eine Befassung mit dem geltend gemachten materiellen Anspruch durch das Prozessgericht findet nur dann statt, wenn eine zulässige Klage vorliegt. Dies ist der Fall, wenn alle Prozessvoraussetzungen – auch Zulässigkeitsvoraussetzungen oder Sachurteilsvoraussetzungen genannt – gegeben sind. Die allgemeinen Prozessvoraussetzungen lassen sich in drei Gruppen gliedern: gerichtsbezogene (deutsche Gerichtsbarkeit, Zulässigkeit des Rechtswegs, Zuständigkeit des Gerichts), parteibezogene (Parteifähigkeit, Prozessfähigkeit, Prozessführungsbefugnis, Postulationsfähigkeit) und streitgegenstandsbezogene (ordnungsgemäße Klageerhebung, keine anderweitige Rechtshängigkeit, keine entgegenstehende Rechtskraft, Rechtsschutzbedürfnis).
Rz. 5
Fehlt es an einer dieser prozessualen Voraussetzungen, ist die Klage durch Prozessurteil, also als unzulässig, abzuweisen, fehlt es dagegen an einer sachlich-rechtlichen Voraussetzung, so ist sie als unbegründet, das heißt durch Sachurteil, abzuweisen.
Rz. 6
Die Prozessvoraussetzungen sind in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (§ 56 Abs. 1 ZPO). Diese Prüfung hat vorrangig vor der Prüfung der Begründetheit der Klage, das heißt des Bestehens des geltend gemachten materiellen Anspruchs, zu erfolgen.
Rz. 7
Die Zulässigkeit der Klage darf im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtskraftwirkung von Prozess- und Sachurteil (§ 322 Abs. 1 ZPO) auch nicht ungeklärt bleiben: Ein Gericht kann daher selbst im Falle der feststehenden Unbegründetheit der Klage die Frage nach deren Zulässigkeit nicht unbeantwortet lassen (zur Ausnahme bei fehlendem Feststellungsinteresse siehe § 26 Rdn 91). Allerdings ist auch ein klageabweisendes Urteil, das die Zulässigkeit der Klage dennoch verfahrensfehlerhaft dahinstehen lässt, der uneingeschränkten Rechtskraft fähig, wenn aus dessen Tenor und den Entscheidungsgründen ersichtlich ist, dass das Gericht ungeachtet seiner Zweifel an der Zulässigkeit der Klage kein Prozessurteil, sondern eine Sachentscheidung erlassen hat. Lediglich wenn das Gericht die Frage der Zulässigkeit der Klage eindeutig verneint, erwachsen weitere – dann nur hilfsweise gemachte – Ausführungen zur Begründetheit nicht in Rechtskraft.