Rz. 102

Für Klagen aus einem Versicherungsvertrag ist auch das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 215 Abs. 1 S. 1 VVG). Für Klagen gegen den Versicherungsnehmer ist dieses Gericht ausschließlich zuständig (§ 215 Abs. 1 S. 2 VVG), der Versicherer kann allerdings dennoch – bei Vorliegen der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen (siehe oben Rdn 87 ff.) – dort Widerklage erheben (§ 215 Abs. 2 VVG). Der Gerichtsstand erfasst auch Klagen aus einem Versicherungsvertrag, dessen Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, wobei auf deren Sitz (§ 17 ZPO) abzustellen ist.[189] Ob für Klagen eines – vom Versicherungsnehmer personenverschiedenen – Versicherten in analoger Anwendung von § 215 Abs. 1 S. 1 VVG (auch) das Gericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Versicherte seinen Wohnsitz bzw. Aufenthalt hat, ist umstritten, aber zu bejahen.[190] Die Voraussetzung "Klagen aus dem Versicherungsvertrag" ist ferner insofern weit auszulegen, als alle Ansprüche umfasst werden, bei denen das Bestehen, Nichtbestehen oder Nichtmehrbestehen eines Versicherungsverhältnisses auch nur die Rolle einer klagebegründenden Behauptung spielt; die Zuständigkeit erstreckt sich daher – unabhängig von der Anspruchsgrundlage – auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Anbahnung, dem Abschluss, der Durchführung oder der Rückabwicklung eines Versicherungsvertrags.[191]

 

Rz. 103

Für die Geltendmachung des Direktanspruchs des Geschädigten gegenüber dem Versicherer im Rahmen der Pflichtversicherung (§ 115 Abs. 1 S. 1 VVG; siehe § 5 Rdn 20 ff.) gilt der Gerichtsstand jedoch nicht, weil zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer des Schädigers keine Sonderverbindung besteht, es sich also schon nicht um eine "Klage aus dem Versicherungsvertrag" (§ 215 Abs. 1 S. 1 VVG) handelt.[192] Ob Klagen Dritter aus einem Versicherungsvertrag – überhaupt – von dem Gerichtsstand erfasst werden, ist umstritten.[193]

 

Rz. 104

Abweichende Vereinbarungen sind nur zulässig für den Fall, dass der Versicherungsnehmer nach Vertragsschluss seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich des VVG – d.h. ins Ausland – verlegt oder sein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist (§ 215 Abs. 3 VVG). Keine Anwendung findet § 215 VVG, soweit das europarechtliche Zuständigkeitsregime (EuGVVO, LugÜ II) eine Regelung der örtlichen Zuständigkeit in Versicherungssachen enthält (siehe dazu § 29 Rdn 118).[194]

 

Rz. 105

Der mit dem am 1.1.2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts[195] geschaffene Gerichtsstand findet auf ab dem 1.1.2009 erhobene Klagen unabhängig vom Zeitpunkt des Abschlusses des Vertragsverhältnisses – also auch bei Versicherungsverhältnissen, die vor dem 1.1.2008 entstanden sind ("Altverträgen") – und auch bei Ansprüchen aus einem bis zum 31.12.2008 eingetretenen Versicherungsfall Anwendung (§ 1 Abs. 1 EGVVG).[196]

 

Rz. 106

Für vorher erhobene Klagen aus Versicherungsverhältnissen, die vor dem 1.1.2008 entstanden sind, gilt dagegen noch der Gerichtsstand des Versicherungsvertreters, wonach für Klagen, die aus einem Versicherungsverhältnis gegen den Versicherer erhoben werden, wenn ein Versicherungsvertreter den Vertrag vermittelt oder abgeschlossen hatte, das Gericht des Ortes zuständig war, wo der Versicherungsvertreter zur Zeit der Vermittlung oder Schließung seine gewerbliche Niederlassung oder in Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hatte (§ 48 Abs. 1 VVG a.F.).[197]

[189] BGH, Urt. v. 8.11.2017 – IV ZR 551/15, NJW 2018, 232 Rn 17 ff.; Langheid/Rixecker/Rixecker, § 215 Rn 2; Rogler, RuS 2019, 121 (127); Harsdorf-Gebhardt, RuS 2018, 625 (633 f.).
[190] OLG Oldenburg, Urt. v. 18.4.2012 - 5 U 196/11, NJW 2012, 2894 (2894 f.); OLG Naumburg, Beschluss vom 2.5.2014 – 1 AR 4/14, NJW-RR 2014, 1378 (1379); Prölss/Martin/Klimke, § 215 Rn 18; Langheid/Rixecker/Rixecker, § 215 Rn 6; BeckOK-VVG/Staudinger/Ruks, § 215 Rn 72; a.A. LG Kleve, Beschl. v. 18.9.2018 – 6 O 30/18, VersR 2019, 123; Langheid/Wandt/Looschelders, § 215 Rn 16.
[191] BGH, Urt. v. 8.11.2017 – IV ZR 551/15, NJW 2018, 232 Rn 11; BGH, Urt. v. 8.3.2017 – IV ZR 435/15, NJW 2017, 1967 Rn 15 f.; Rogler, RuS 2019, 121 (127); Harsdorf-Gebhardt, RuS 2018, 625 (632); Piontek, VersR 2018, 113 (114).
[192] Prölss/Martin/Klimke, § 215 Rn 5; Piontek, VersR 2018, 113 (117); jeweils m.w.N.
[193] Bejahend Rogler, RuS 2019, 121 (127 f.) und Piontek, VersR 2018, 113 (116) m.w.N.
[194] Prölss/Martin/Klimke, § 215 Rn 35; Harsdorf-Gebhardt, RuS 2018, 625 (632).
[195] BGBl I 2007, 2631.
[196] BGH, Urt. v. 8.11.2017 – IV ZR 551/15, NJW 2018, 232 Rn 12; BGH, Urt. v. 8.3.2017 – IV ZR 435/15, NJW 2017, 1967 Rn 23 ff.; Prölss/Martin/Klimke, § 215 Rn 3; Harsdorf-Gebhardt, RuS 2018, 625 (632 f.); Piontek, VersR 2018, 113 (114 f.).
[197] Prölss/Martin/Klimke, § 215 Rn 2.

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