Rz. 144
Durch die Erhebung der Klage wird die Rechtshängigkeit des damit geltend gemachten Streitgegenstandes begründet (§ 261 Abs. 1 und 2 ZPO). Während der Dauer dieser Rechtshängigkeit kann die Sache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Die anderweitige Rechtshängigkeit ist von Amts wegen zu berücksichtigen, und zwar auch noch in der Revisionsinstanz. Beachtlich ist auch die Rechtshängigkeit im Ausland, sofern mit der Anerkennung der vom ausländischen Gericht zu treffenden Entscheidung zu rechnen ist. Zur anderweitigen Rechtshängigkeit vor Gerichten mehrerer Mitgliedstaaten der EU siehe § 29 Rdn 51.
Rz. 145
Unzulässig ist ferner eine erneute Klage, deren Streitgegenstand mit dem eines rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits identisch ist oder wenn im zweiten Prozess das kontradiktorische Gegenteil der im ersten Prozess ausgesprochenen Rechtsfolge begehrt wird, da die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung (auch im Adhäsionsverfahren, § 406 Abs. 3 S. 1 und 3 StPO) – als negative, von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung – eine neue Verhandlung über denselben Streitgegenstand verbietet (ne bis in idem). Urteile sind der materiellen Rechtskraft insoweit fähig, als über den durch die Klage oder Widerklage erhobenen (prozessualen) Anspruch entschieden ist (§ 322 Abs. 1 ZPO). Der Gegenstand der Rechtskraft beschränkt sich auf das Bestehen oder Nichtbestehen der geltend gemachten Rechtsfolge aufgrund des zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalts; die tatsächlichen Feststellungen als solche erwachsen dagegen nicht in Rechtskraft, ebenso wenig eine Entscheidung über die Einreden einer Partei oder die rechtliche Qualifikation eines Anspruchs oder sonstige Begründungselemente. In welchem objektiven Umfang über den durch Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist, richtet sich nach dem Urteilsausspruch (Tenor), falls nötig in Verbindung mit dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen.
Rz. 146
Die Entscheidung über Vorfragen und präjudizielle Rechtsverhältnisse erwächst nur in Rechtskraft, wenn sie durch einen den Leistungsantrag begleitenden Feststellungsantrag (§ 256 Abs. 1 ZPO), durch einen Zwischenfeststellungsantrag (§ 256 Abs. 2 ZPO) oder durch eine nachträgliche, gegebenenfalls titelergänzende Feststellungsklage – in zulässiger Weise – zum Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung gemacht werden. Dennoch unterliegen die vorgetragenen Tatsachen einer Präklusion auch in dem Sinne (sog. Tatsachenpräklusion), dass sie in einen späteren Prozess nicht mit dem Ziel eingeführt werden können, dass das "kontradiktorische Gegenteil" der früher festgestellten Rechtsfolge ausgesprochen werde; diese Präklusion des Tatsachenvortrags führt zur Unbegründetheit der Klage im Folgeprozess. Zu dem insoweit maßgeblichen Streitgegenstand sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt "seinem Wesen nach" erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht zu unterbreiten hat.
Rz. 147
Ob die einzelnen Tatsachen dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht und ob die Parteien die im Vorprozess nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebensvorgangs damals bereits kannten oder hätten vortragen können, ist nicht erheblich. Infolgedessen gehört zur Rechtskraftwirkung nicht nur die Präklusion der im Vorprozess vorgetragenen Tatsachen, sondern auch die der nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern diese nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Prozess entstanden sind, sondern bei natürlicher Anschauung zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebenssachverhalt gehören. Da die Tatsachenpräklusion aber kein Institut neben der materiellen Rechtskraft, sondern nur die notwendige Kehrseite der Maßgeblichkeit der Entscheidung ist, besteht außerhalb der Grenzen des Streitgegenstands keine Präklusion; dies gilt selbst dann, wenn mit der neuen Klage ein wirtschaftlich identisches Ziel verfolgt wird und sich die Tatsachen überschneiden. Im Folgeprozess sind mithin Tatsachen, die zu dem Lebenssachverhalt gehören, der Gegenstand des Vorprozesses war, nicht schlechthin ausgeschlossen, sondern nur insoweit, als sie den Anspruch betreffen, über den dort rechtskräftig entschieden worden ist.
Rz. 148
Die erstmalige Geltendmachung von selbstständigen Ansprüchen des Beklagten aus demselben Sachverhalt wird durch die rechtskräftige Entscheidung über die Ansprüche des Klägers im Vorprozess nicht präkludiert; denn über solche Ansprüche wurde durch diese Entscheidung nur unter den Voraussetzungen des § 322 ZPO – also bei Widerklage oder Aufrechnung – rechtskräftig entschieden. Auch ein Feststellungs- und ein Leistungsbegehren sind unterschiedliche Streitgegenstände, weshalb ein vorangegangenes Feststel...