Rz. 30
Die sich aus § 102 SGB XII ergebende sog. selbstständige Erbenhaftung ermöglicht die Heranziehung der Erben zum Kostenersatz, unabhängig von den zugunsten der Leistungsberechtigten bestehenden Schutzvorschriften. Dies betrifft vor allem die Fälle, in denen zugunsten eines Leistungsberechtigten verschiedene Vermögensgegenstände als Schonvermögen i.S.d. § 90 Abs. 2 SGB XII, also z.B. das selbstgenutzte angemessene Hausgrundstück (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII), nicht einzusetzen waren.
Die selbstständige Erbenhaftung ist von der sog. unselbstständigen Erbenhaftung nach § 103 Abs. 2 SGB XII zu unterscheiden. Hierbei handelt es sich um die Haftung des Erben für Kostenersatzansprüche, die sich gegen den Leistungsempfänger richten und ihre Grundlage in einem vorwerfbaren Verhalten des Leistungsempfängers haben.
Die selbstständige Erbenhaftung setzt voraus, dass dem Leistungsberechtigten rechtmäßig Sozialhilfe erbracht worden ist. Bei unrechtmäßig gewährter Sozialhilfe richten sich die Ansprüche auf Rückforderung nach § 104 SGB XII, der die entsprechende Anwendung des § 103 SGB XII vorschreibt.
Der Umfang des gegen den Erben bestehenden Kostenersatzanspruchs ist dabei auf die Kosten der Sozialhilfe innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall beschränkt, § 102 Abs. 1 S. 2 SGB XII. Ferner ergibt sich bereits aus § 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII, dass die Haftung auf den Wert des Nachlasses im Todeszeitpunkt beschränkt ist, also der Erbe nur im Falle späteren Wertverlustes die sonstigen im BGB zur Verfügung stehenden Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten auf den physischen Nachlassbestand ergreifen muss.
Der Anspruch richtet sich grundsätzlich gegen den Erben des Leistungsberechtigten sowie gegen den Erben des Ehegatten bzw. Lebenspartners, wenn dieser vor der leistungsberechtigten Person stirbt (da er in diesem Fall sein Vermögen als letzten Beitrag zur Einsatz- und Bedarfsgemeinschaft "opfern" muss).
Rz. 31
Nach § 102 Abs. 3 SGB XII ist der Anspruch auf Kostenersatz nicht geltend zu machen,
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soweit der Wert des Nachlasses unter dem Dreifachen des Grundbetrags nach § 85 Abs. 1 SGB XII liegt (Nr. 1, dies sind im Jahr 2023 3.012 EUR); |
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im Fall der nicht nur vorübergehenden Pflege durch einen in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten, Lebenspartner oder Verwandten und dieser Erbe wird, soweit der Wert des Nachlasses unter 15.340 EUR liegt (Nr. 2); |
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soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeuten würde, also z.B. etwa hinsichtlich Beträgen, die der Erbe zu Lebzeiten in das hinterlassene Wohngebäude investiert und damit den "Wert des Nachlasses" erhöht hat. Wie sich aus § 102 Abs. 4 SGB XII ergibt, erlischt der Kostenersatzanspruch in drei Jahren nach dem Tod der leistungsberechtigten Person, wobei über die Verweisung auf § 102 Abs. 3 SGB XII für die Hemmung bzw. Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung die Vorschriften des BGB Anwendung finden. |
Rz. 32
Der Kostenersatzanspruch erfasst lediglich den Nachlass. Aus diesem Grund kann es sich für den Hilfeempfänger empfehlen, ihm verbliebenes Schonvermögen (selbstgenutztes angemessenes Familienheim) möglichst knapp vor seinem Tod in vorweggenommener Erbfolge zu übertragen, wohl wissend, dass dadurch die Rechtsfolgen des § 528 BGB ausgelöst werden (hinsichtlich der Verarmung = Bedürftigkeit nach Vollziehung der Schenkung: Da zwischen Schenkung und Verarmung keine Kausalität zu bestehen braucht (Wortlaut "nach", nicht "durch"), erfasst § 528 BGB auch Schenkungen, die während eines bereits eingetretenen Verarmungszustands erfolgen, strahlt allerdings nicht zurück auf die bereits zuvor bestehende Bedürftigkeit). Der Erwerber ist also verpflichtet, für die weitere Dauer des Bedarfs, d.h. wohl bis zum Ableben des Veräußerers, Wertersatzzahlungen (§ 818 Abs. 2 BGB, bis zur Grenze des Schenkungswerts) anstelle des Sozialhilfeträgers zu leisten, kann dann jedoch den geschenkten Gegenstand "behalten", der bei weiterem Verbleib beim Hilfeempfänger als Nachlassbestandteil für die vollen Kosten der letzten zehn Lebensjahre verwertet worden wäre ("Flucht in § 528 BGB"). Sollte sich die den Beteiligten abverlangte Mortalitätsprognose als unzutreffend erweisen, also die Summe der zu leistenden Wertersatzzahlungen sich immer mehr dem "vollen Kaufpreis" nähern, können die Beteiligten den Vorgang rückgängig machen ("Flucht in § 102 SGB XII"), da der BGH die Naturalrestitution anstelle der wiederkehrenden Wertersatzzahlung als "umgekehrte Ersetzungsbefugnis" zulässt: Das in das Vermögen des Leistungsbeziehers zurück übertragene Objekt wird dann zwar nach dessen Tod gem. § 102 SGB XII verwertet, allerdings sind die vom Erwerber während seiner Eigentumszeit geleisteten Monatsbeträge gem. §§ 528, 818 Abs. 2 BGB nicht "verloren", sondern mindern nun die Zehn-Jahres-Summe der aus dem Nachlass beizubringenden Beträge in voller Höhe, da ja in diesem Umfang keine Sozialhilfe gewährt wurde. Sie sind also nie "vergeben...