1. "Normaler Gläubiger"
Rz. 47
Da der Verzicht auf den möglichen künftigen Pflichtteil nicht zum Ausscheiden eines Gegenstands aus dem präsenten Vermögen des Schuldners führt, sondern lediglich eine potenzielle Nichtvermehrung des künftigen Vermögens zur Folge hat, liegt darin keine Schenkung i.S.d. § 516 BGB (vgl. auch die Wertung des § 517 BGB: Verzicht auf ein nicht endgültig erworbenes Recht), so dass eine Anfechtung, auch i.R.d. Insolvenz, ausscheidet, und der Pflichtteilsverzicht als solcher auch keine Pflichtteilsergänzungsansprüche Dritter auslösen kann.
2. Regelinsolvenz
Rz. 48
Auch wenn der Verzichtende sich in Insolvenz befindet, kann er ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters auf künftige Pflichtteilsansprüche verzichten, da sich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Verwalters gem. § 80 Abs. 1 InsO nur auf gegenwärtiges, nicht auf mögliches künftiges Vermögen bezieht.
3. Wohlverhaltensphase
Rz. 49
Auch im Rahmen einer Restschuldbefreiung (RSB) nach der Insolvenz natürlicher Personen (§§ 286 ff. InsO) dürfte der Pflichtteilsverzicht nicht zu einem Obliegenheitsverstoß i.S.d. § 295 S. 1 Nr. 2 InsO (wonach die Hälfte des Wertes eines während der Wohlverhaltensphase eingetretenen Erwerbs von Todes wegen herauszugeben ist) führen, da noch kein tatsächlich erworbenes Vermögen, sondern lediglich die bloße Möglichkeit eines Erwerbs "weggegeben" wird und auch die noch stärker wirkende Ausschlagung einer bereits angefallenen Erbschaft nach herrschender Auffassung nicht die RSB gefährdet.
4. Sozialleistungsträger
Rz. 50
Dieselben Wertungen sprechen gegen die Sittenwidrigkeit vorheriger Pflichtteilsverzichte eines Sozialleistungsempfängers; erst Recht gegen Leistungskürzungen wegen unwirtschaftlichen Verhaltens gem. § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII (künftiger Pflichtteil ist kein "gegenwärtiges Vermögen") oder Kostenersatzpflichten gem. § 103 SGB XII (kein sozialwidriges Verhalten). Der BGH (ihm folgend die Sozialgerichte und die Finanzgerichte) hat den (auf dem Sterbebett, also mit nur mehr geringem aleatorischem Element, ausgesprochenen) abfindungslosen Pflichtteilsverzicht eines (geschäftsfähigen) Behinderten gegenüber den Eltern, beschränkt auf den ersten Sterbefall, als wirksam erachtet: Allein die Abfindungslosigkeit führe zu keinem Verstoß gegen § 138 BGB; ferner liege kein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter vor (sondern nur eine faktisch nachteilige Wirkung auf Dritte), und auch der Nachranggrundsatz des Sozialhilferechts sei bei Behinderten deutlich zurückgenommen und repräsentiere daher keine übergeordnete Wertung, zu deren Verteidigung die Nichtigkeit des Pflichtteilsverzichtes anzuordnen sei. Diese Wertung entspreche dem Grundsatz, dass es einem Übergeber offenstehe, nur solche Versorgungsleistungen zu vereinbaren, die auf dem übernommenen Anwesen selbst erbracht werden können (so dass Leistungsbegrenzungsklauseln für den Fall des Wegzugs nicht sittenwidrig sind, Rdn 43). Ihr stehe auch nicht entgegen, dass der Leistungsbezieher beim Pflichtteilsverzicht (anders als beim Behindertentestament) selbst aktiv an der Gestaltung beteiligt und nicht lediglich der Gestaltung eines Dritten (des Erblassers) unterworfen ist, denn auch die Ausschlagung einer ihm sonst zufallenden Erbschaft hätte er (entgegen OLG Stuttgart und Hamm, Rdn 54) wirksam erklären können (Grundsatz der sog. negativen Erbfreiheit). Schließlich hätten die Eltern den Pflichtteilsanspruch des Verzichtenden auch wirksam durch Einsetzung zum (mit Nacherbfolge und Testamentsvollstreckung) beschwerten Miterben verhindern können, denn eine Überleitung des Ausschlagungsrechtes gem. § 2306 BGB hätte der Sozialleistungsträger (mangels Anspruchsqualität, Rdn 24) nicht bewirken können. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass Eltern (unter dem Aspekt der Unterhaltsgewährung aus Einkommen) zu Lebzeiten nur eingeschränkt zum Ausgleich der ihrem behinderten Kind gewährten Leistungen herangezogen werden konnten (§ 94 Abs. 2 SGB XII, Rdn 29); damit wäre es nicht zu vereinbaren, den verbleibenden Elternteil (beim Berliner Testament) postmortal im Weg der Zwangsauszahlung eines Pflichtteilsanspruchs stärker heranzuziehen.