1. Normen, Rechtsweg
Rz. 2
Mit Wirkung zum 1.1.2005 wurden die bisherigen Regelungen aus dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in das Sozialgesetzbuch integriert. Für den Bereich der reinen Sozialhilfe sind die Regelungen seither im SGB XII enthalten, während die Vorschriften zur Grundsicherung für Arbeitsuchende im SGB II (nachstehend Rdn 14 ff.) enthalten sind. Die Vorschriften zum Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter (GSiG) sind mit Wirkung zum 1.1.2005 in das SGB XII als 4. Kapitel (§§ 41 ff.) integriert worden.
Neben dem SGB XII sind verschiedene Durchführungsverordnungen des Bundes erlassen worden, die einzelne Vorschriften des SGB XII ergänzen. Ferner haben alle Bundesländer zum SGB XII Ausführungsbestimmungen und auch noch Durchführungsverordnungen erlassen, die im Wesentlichen die Zuständigkeit der überörtlichen Träger sowie organisationsrechtliche und finanzielle Fragen regeln.
Wesentliche Grundlage der praktischen Tätigkeit der Sozialhilfeträger sind daneben Sozialhilferichtlinien. Es handelt sich dabei lediglich um Empfehlungen der kommunalen Spitzenverbände, die – sofern ein Sozialhilfeträger diese Empfehlungen für seinen Bereich übernimmt – zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen, jedoch keine unmittelbare Rechtswirkung für den Leistungsberechtigen entfalten.
Rz. 3
Die funktionale Zuständigkeit zur Gewährung von Sozialhilfe liegt bei den örtlichen Trägern, d.h. den kreisfreien Städten und Landkreisen (§§ 97 Abs. 1, 3 Abs. 2 S. 1 SGB XII), die diese als Selbstverwaltungsangelegenheit im eigenen Wirkungskreis durchführen. Die Bestimmung der überörtlichen Träger der Sozialhilfe obliegt gem. § 97 Abs. 2 S. 1 SGB XII den Ausführungsgesetzen der Länder, die hierzu sich selbst oder überörtliche kommunale Körperschaften eingesetzt haben. Gem. § 97 Abs. 3 SGB XII sind vorbehaltlich landesrechtlicher Bestimmungen die überörtlichen Träger insb. für die (bis 31.12.2019) Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, sowie für die Hilfe zur Pflege, der Überwindung sozialer Schwierigkeiten und der Blindenhilfe (§§ 53 bis 72 SGB XII) sachlich zuständig.
Für Entscheidungen in gerichtlichen Verfahren ist mit der Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch nicht mehr – wie während der Geltung des BSHG – der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 VWGO eröffnet, vielmehr ist seither gemäß § 62 SGB X das Sozialgerichtsgesetz einschlägig und demnach nach § 51 Abs. 1 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
2. Grundsätze, Leistungsarten
Rz. 4
Das Sozialhilferecht ist geprägt durch das Nachrangprinzip, das Individualisierungsprinzip und das Bedarfsdeckungsprinzip:
Der Grundsatz des Nachrangs ("materielle Subsidiarität", § 2 SGB XII) gilt im Verhältnis zu
(1) |
Möglichkeiten der Selbsthilfe (z.B. dem Einsatz der eigenen Arbeitskraft, dem Einsatz eigenen Einkommens oder Vermögens, der Realisierung von Ansprüchen ggü. Dritten); diese sind als "bereite Mittel" allerdings nur dann vorrangig, wenn sie tatsächlich zur Verfügung stehen (sog. Faktizitätsprinzip), andernfalls ist Hilfe zu gewähren und der Anspruch nachträglich gem. § 93 SGB XII überzuleiten); |
(2) |
tatsächlichen Leistungen Dritter (auch wenn diese ohne gesetzliche Verpflichtung erbracht werden); |
(3) |
Leistungsverpflichtungen Dritter, insb. aus dem Unterhaltsrecht (beachte jedoch § 94 Abs. 1a und Abs. 2 SGB XII); |
(4) |
Ermessensleistungen anderer Sozialleistungsträger, die gem. § 2 Abs. 2 S. 2 SGB XII jedenfalls nicht unter Hinweis auf Sozialhilfeleistungen versagt werden dürfen. |
Rz. 5
Das Individualisierungsprinzip fordert als Ausfluss der Menschenwürde eine auf die Einzelperson abgestellte Feststellung der Notlage und der Hilfegestaltung. Anspruchsinhaber ist der einzelne Hilfebedürftige, nicht die Familie als solche; den Wünschen und Präferenzen des Hilfeempfängers wird gem. § 9 Abs. 2 und 3 SGB XII in gewissem Umfang entsprochen.
In teilweiser Durchbrechung dieses Individualitätsgrundsatzes bestimmt § 27 Abs. 2 S. 1 SGB XII (zuvor wortgleich: § 19 Abs. 1 S. 2 SGB XII), dass bei nicht getrenntlebenden Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern (eheähnliche Partner gleich welchen Geschlechtes sind gem. § 20 SGB XII gleichgestellt) das Einkommen und Vermögen beider zu berücksichtigen ist. Sie bilden eine "Einsatz- und Bedarfsgemeinschaft", so dass Vermögensverschiebungen unter nicht getrennt lebenden Partnern für Zwecke der Sozialhilfe irrelevant sind.
Rz. 6
Gemäß dem Bedarfsdeckungsprinzip ist für die Gewährung der Sozialhilfe die tatsächliche Notlage maßgeblich, gleichgültig wodurch diese entstanden ist. Ist der Bedarf gedeckt worden, kann ("für die Vergangenheit") Sozialhilfe nicht mehr gewährt werden. Eine Verrechnung von Ansprüchen des Sozialhilfeträgers gegen den Hilfebedürftigen ist nur in den engen Grenzen des § 26 Abs. 2 SGB XII (vormals §§ 25a, 29a BSHG: Erstattung bzw. Schadensersatz wegen zu Unrecht erbrachter Leistungen) zulässig. Die Tilgung von Schulden oder früheren Aufwendungen ist regelmäßig nicht Aufgabe der Sozialhilfe. Sozialhil...