A. Sozialrechtliche Grundzüge
I. Übersicht: Kategorisierung der Sozialleistungsgesetze
Rz. 1
Die Gestaltung von Vermögensübertragungen ohne kaufmännisch abgewogene Gegenleistung wirft angesichts der Bestandsschwächen der Schenkung in weit höherem Maße als bei Kaufverträgen sozialrechtliche Fragen auf, die an das Risiko einer Verarmung aufseiten des Veräußerers, des Erwerbers oder Dritter (etwa weichender Geschwister) anknüpfen.
Dabei ist eine Differenzierung angezeigt, die traditioneller Weise in Anlehnung an die im Kompetenzkatalog des Grundgesetzes verwendeten Begriffe der Sozialversicherung (vgl. Art. 74 Nr. 12 GG), Sozialversorgung (Art. 74 Nr. 10 GG) und Sozialfürsorge (Art. 74 Nr. 7 GG) erfolgt:
(1) |
Die Sozialversicherung gewährt einen Risikoausgleich für die typischerweise zu erwartenden Wechselfälle des Lebens wie Krankheit, seit 1.1.1995 i.R.d. PflegeVG = SGB XI auch Pflegebedürftigkeit), Arbeitsunfall oder Alter. Diese Leistungen werden überwiegend aus dem Beitragsaufkommen der zwangsweise versicherten Mitglieder und nur ergänzend aus Staatszuschüssen finanziert und sind daher i.d.R. von individueller Bedürftigkeit unabhängig. |
(2) |
Die Sozialversorgung wird hingegen überwiegend aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Sie dient teilweise dem Ausgleich besonderer Opfer (etwa als Folge des Kriegs- oder Wehrdienstes: Bundesversorgungsgesetz, Opferentschädigungsgesetz, Impfschadensgesetz), teils der ausgleichenden Allgemeinversorgung in besonderen Pflichtenlagen (z.B. ggü. Kindern: Kindergeld). Diese Leistungen sind regelmäßig in gewissem Umfang von der Bedürftigkeit der berechtigten Person abhängig |
(3) |
Die Sozialfürsorge, insb. Sozialhilfe (SGB XII) und Grundsicherung für Arbeit Suchende (seit 2023 Bürgergeld, SGB II) sowie die Eingliederungsleistungen für Behinderte (seit 2020 SGB IX), aber auch bspw. sog. Kriegsopferfürsorge wird ebenfalls aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Sie umfasst die individuelle, auf die konkrete Notlage und Bedürftigkeit abstellende tatsächliche und finanzielle Hilfe, welche ggü. anderweitiger Bedarfsdeckung soweit als möglich subsidiär ist. |
Im letztgenannten Bereich – steuerfinanzierte Leistungen, die keinem individuellen Opferausgleich dienen – ist naturgemäß die Kollisionsgefahr mit dem Zivilrecht, v.a. die Regressthematik, am unmittelbarsten zu erwarten. Daher konzentriert sich die folgende Darstellung hierauf.
II. Sozialhilfe, SGB XII
1. Normen, Rechtsweg
Rz. 2
Mit Wirkung zum 1.1.2005 wurden die bisherigen Regelungen aus dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in das Sozialgesetzbuch integriert. Für den Bereich der reinen Sozialhilfe sind die Regelungen seither im SGB XII enthalten, während die Vorschriften zur Grundsicherung für Arbeitsuchende im SGB II (nachstehend Rdn 14 ff.) enthalten sind. Die Vorschriften zum Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter (GSiG) sind mit Wirkung zum 1.1.2005 in das SGB XII als 4. Kapitel (§§ 41 ff.) integriert worden.
Neben dem SGB XII sind verschiedene Durchführungsverordnungen des Bundes erlassen worden, die einzelne Vorschriften des SGB XII ergänzen. Ferner haben alle Bundesländer zum SGB XII Ausführungsbestimmungen und auch noch Durchführungsverordnungen erlassen, die im Wesentlichen die Zuständigkeit der überörtlichen Träger sowie organisationsrechtliche und finanzielle Fragen regeln.
Wesentliche Grundlage der praktischen Tätigkeit der Sozialhilfeträger sind daneben Sozialhilferichtlinien. Es handelt sich dabei lediglich um Empfehlungen der kommunalen Spitzenverbände, die – sofern ein Sozialhilfeträger diese Empfehlungen für seinen Bereich übernimmt – zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen, jedoch keine unmittelbare Rechtswirkung für den Leistungsberechtigen entfalten.
Rz. 3
Die funktionale Zuständigkeit zur Gewährung von Sozialhilfe liegt bei den örtlichen Trägern, d.h. den kreisfreien Städten und Landkreisen (§§ 97 Abs. 1, 3 Abs. 2 S. 1 SGB XII), die diese als Selbstverwaltungsangelegenheit im eigenen Wirkungskreis durchführen. Die Bestimmung der überörtlichen Träger der Sozialhilfe obliegt gem. § 97 Abs. 2 S. 1 SGB XII den Ausführungsgesetzen der Länder, die hierzu sich selbst oder überörtliche kommunale Körperschaften eingesetzt haben. Gem. § 97 Abs. 3 SGB XII sind vorbehaltlich landesrechtlicher Bestimmungen die überörtlichen Träger insb. für die (bis 31.12.2019) Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, sowie für die Hilfe zur Pflege, der Überwindung sozialer Schwierigkeiten und der Blindenhilfe (§§ 53 bis 72 SGB XII) sachlich zuständig.
Für Entscheidungen in gerichtlichen Verfahren ist mit der Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch nicht mehr – wie während der Geltung des BSHG – der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 VWGO eröffnet, vielmehr ist seither gemäß § 62 SGB X das Sozialgerichtsgesetz einschlägig und demnach nach § 51 Abs. 1 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
2. Grundsätze, Leistungsarten
Rz. 4
Das Sozialhilferecht ist geprägt durch das Nachrangprinzip, das Individualisierungsprinzip und das Bedarfsdeckungsprinzip:
Der Grundsatz des Nachrangs ("materielle Subsidiarität", § 2 SGB XII) gilt im V...