Rz. 41
Inwieweit das Behindertentestament in seiner klassischen Ausgestaltung mit Vor- und Nacherbschaft und Testamentsvollstreckung das hält, was es verspricht, hängt von der Klärung einiger Fragen ab.
aa) Sittenwidrigkeit des Behindertentestaments
Rz. 42
Stellt es eine sittenwidrige und daher nach § 138 BGB nichtige Gestaltung zu Lasten der Sozialhilfe und der öffentlichen Hand dar, weil dadurch insbesondere das sozialhilferechtliche Nachrangprinzip in sein Gegenteil verkehrt wird? Der BGH hat dies in zwei Entscheidungen verneint. Auch zeigt die Rechtsprechung der Landessozialgerichte in den vergangenen Jahren die Akzeptanz des Behindertentestaments aus sozialrechtlicher Sicht. Allerdings klingen in der ersten wie auch in der zweiten Entscheidung Überlegungen an, dass u.U. bei sehr großen Nachlässen, aus denen der Behinderte seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte, die Sache anders zu sehen sein mag, insbesondere wenn allein aus dem Pflichtteil die Sicherstellung der Versorgung des Behinderten möglich wäre und daher eine günstigere Rechtsstellung des Behinderten, als sie durch das Pflichtteilsrecht gewährleistet wird, nicht vorliegt.
Rz. 43
Wendt hat hierzu ausgeführt, dass § 138 BGB indes nicht schon eingreift,
Zitat
"wenn – gleichsam buchhalterisch festzustellen – der Gesamtkostenaufwand aus Heimunterbringung plus Zusatzvorteilen den Nachlasswert erreicht. Erst bei einem deutlichen Missverhältnis zwischen den von der Familie durch die Behinderung über möglicherweise eine lange Zeit insgesamt zu schulternden Lasten und dem abzuschirmenden Familienvermögen wird die von § 138 BGB abstrakt gezogene Grenze erkennbar. (…) Der Grundsatzentscheidung von 1993 lässt sich aber zumindest entnehmen, dass diese Grenze nicht schon dann erreicht ist, wenn die Versorgung der behinderten Person allein mit dem Pflichtteil auf Lebenszeit gerade mal sichergestellt wäre. Die Schwelle dürfte unter der Regie des § 138 BGB erheblich darüber liegen."
bb) Gefahren aus § 2306 BGB
Rz. 44
Dem pflichtteilsberechtigten Erben steht nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB ein Wahlrecht zu, den belasteten Erbteil anzunehmen oder ihn auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen. Nach zwischenzeitlich wohl überwiegender Ansicht kann der Sozialleistungsträger das Ausschlagungsrecht als höchstpersönliches Gestaltungsrecht nicht auf sich überleiten, damit kann er auch nicht selbst die Ausschlagung erklären und das Entstehen eines überleitbaren Anspruchs nach § 93 SGB XII herbeiführen. Unter Umständen kann aber der Sozialleistungsträger die Ausschlagung vom Behinderten verlangen und zur Voraussetzung der Gewährung von Sozialhilfe machen, wenn das Ausschlagungsrecht zur Erlangung des Pflichtteils eine i.S.d. SGB XII einzusetzende Vermögensposition ist.
Rz. 45
Ist ein familienfremder Betreuer für den Behinderten bestellt, könnte dieser sich ggf. veranlasst sehen, eine solche Ausschlagung zu erklären. Soweit in derartigen Fällen der gesetzliche Betreuer eines Behinderten gleichzeitig Miterbe, Nacherbe oder in sonstiger Weise i.S.d. § 1824 BGB durch Interessenkollision von der Vertretung ausgeschlossen ist bzw. eine Entziehung der Vertretungsmacht nach § 1789 Abs. 2 BGB durch das Familien- bzw. Betreuungsgericht erfolgt, kommt es ggf. zur Bestellung eines Ergänzungsbetreuers nach § 1817 Abs. 5 BGB mit dem Aufgabenkreis der "Prüfung bzgl. der Ausschlagung der Erbschaft". Gerade bei Nachlässen mit hohem Wert und daher möglicherweise einem mit der Ausschlagung entstehenden hohen Pflichtteilsanspruch, der die Sicherstellung der Versorgung des Behinderten ermöglicht – daher eine günstigere Rechtsstellung des Behinderten als durch die Beschwerungen der Vor- und Nacherbfolge mit Testamentsvollstreckung ermöglicht –, würde die Ausschlagung dem Wohl des Betreuten entsprechen (§ 1821 BGB). Bei großen Nachlässen gilt daher insoweit die gleiche Vorsicht, wie dies im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH zur Sittenwidrigkeit bereits geboten ist.
Rz. 46
Auch bei ertragslosen Nachlässen kann sich für den Betreuer die Pflicht zur Ausschlagung des Erbteils zum Wohle des Betreuten ergeben, da ein sich ergebender Pflichtteilsanspruch möglicherweise trotz Verbrauchs im Rahmen des eigenen Bedarfs immer noch als vortei...