Rz. 56
Die Einschätzung des Nachlassumfangs zum Zeitpunkt des Erbfalls gestaltet sich prognostisch zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung schwierig. Aus diesem Grund birgt die vermächtnisweise Zuwendung eines fixen Geldbetrages an den Behinderten die Gefahr, dass sich dieser gemessen am Gesamtnachlass später als zu niedrig erweisen könnte. Erschwert wird die Problematik noch zusätzlich, wenn lebzeitige Zuwendungen an Dritte stattgefunden haben, die über §§ 2316, 2050 ff. BGB oder über § 2325 BGB den Gesamtpflichtteil des Behinderten erhöhen könnten.
Das Vorvermächtnis wird daher regelmäßig nicht als fixer Geldbetrag, sondern als liquides Quotenvermächtnis angeordnet. Wird auf diese Weise vorgegangen, spielen Veränderungen bei der Zusammensetzung des realen oder fiktiven Nachlasses nach Errichtung der letztwilligen Verfügung keine Rolle. Der Behinderte erhält danach einen quotalen Anteil am Nachlass, der mindestens seiner Pflichtteilsquote entspricht, besser aber noch als (leicht) über der Pflichtteilsquote liegend angeordnet wird.
Rz. 57
Möglichen Liquiditätsproblemen kann mit einer Ersetzungsfunktion entgegengewirkt werden, deren Ausübung in das Ermessen des Erben oder des Testamentsvollstreckers gelegt wird. Es kann nach Ruby wie folgt formuliert werden:
Formulierungsbeispiel
Dem behinderten Kind (…) steht als Vermächtnis ein barer Geldbetrag in Höhe (…) einer Quote von (…) % am Nachlass zu (…). Der Beschwerte ist berechtigt, das Vermächtnis ganz oder teilweise auch durch Übertragung anderer Gegenstände zu erfüllen (…). Sofern über den Beschwerten Testamentsvollstreckung angeordnet ist, übt der Testamentsvollstrecker die Ersetzungsbefugnis aus (…).
Rz. 58
Erblasser mit behinderten Angehörigen bewegt bei der Gestaltung ihrer Vermögensnachfolgeplanung häufig der Wunsch, das Verbleiben des behinderten Angehörigen in einer ihm vertrauten häuslichen Umgebung zu sichern. In diesen Fällen ist zu überlegen, das Vermächtnis als Wohnungsrechtsvermächtnis auszugestalten. Das Wohnungsrechtsvermächtnis ist nicht pfändbar und gem. § 1092 Abs. 1 S. 1 BGB auch nicht auf den Sozialleistungsträger übertragbar. Es muss grds. höchstpersönlich ausgeübt werden, wobei die Gestattung der Mitnutzung durch Pflegepersonen im Einzelfall Sinn macht und nach § 1093 Abs. 2 BGB ausgestaltet werden kann, um die Überleitung etwaiger Mietzinsen auf den Sozialleistungsträger auszuschalten.
Auch bei der Zuwendung eines Wohnungsrechtsvermächtnisses ist allerdings darauf zu achten, dass das Vermächtnis mindestens die Grenze des Gesamtpflichtteils erreichen muss, um die Überleitungsgefahr eines Pflichtteilsrestanspruchs nach § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB auszuschalten. Gegebenenfalls muss das Wohnungsrechtsvermächtnis mit einem weiteren liquiden Quotenvermächtnis kombiniert werden, damit zumindest die Pflichtteilsgrenze erreicht wird. Es kann dann wie folgt formuliert werden:
Formulierungsbeispiel
Sollte das Wohnungsrechtsvermächtnis wertmäßig hinter dem Gesamtpflichtteil zurückbleiben, wird zusätzlich ein weiteres Vermächtnis in Form eines baren Geldbetrages angeordnet. Das Geldvermächtnis entspricht dabei dem Fehlbetrag zwischen dem Wert des Wohnungsrechtsvermächtnisses und dem Gesamtpflichtteil des Begünstigten.
Rz. 59
Problematisch können sich zudem Fälle erweisen, in denen der Behinderte das Wohnungsrechtsvermächtnis nicht (mehr) persönlich ausüben kann. Sinnvoll ist die Aufnahme einer Regelung (auflösende Bedingung, § 158 Abs. 2 BGB) in die letztwillige Verfügung, dass das Wohnungsrechtsvermächtnis in diesen Fällen entfällt. Auch hier ist eine Kombination mit einem liquiden Aufstockungsvermächtnis und Ersetzungsbefugnis sinnvoll.
Rz. 60
Vorgeschlagen wird auch ein Leibrentenvermächtnis. Danach soll der Behinderte eine aus dem Nachlass zu zahlende monatliche lebenslange Rente erhalten, wobei das Leibrentenvermächtnis als mindestens den Gesamtpflichtteil erreichend ausgestaltet wird. Technisch geschieht das unter Zugrundelegung der statistischen Lebenserwartung des Behinderten zum Zeitpunkt des Erbfalls. Das Modell eignet sich bei kleineren und mittleren Nachlässen und hat den Vorteil, dass der Testamentsvollstrecker keine zu großen Nachlassmittel anhäuft und die Gelder direkt zur Verbesserung der Lebensqualität des Behinderten verbraucht. Genauso ist das Nachvermächtnis auf die noch nicht verbrauchten Beträge zum Zeitpunkt des Todes des Behinderten beschränkt. Das Leibrentenvermächtnis erfährt über die §§ 2211, 2214 BGB vollen Schutz und unterliegt nicht dem Zugriff des Sozialleistungsträgers.