Rz. 10
Hinweis
Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass die Gestaltungsvorschläge immer davon ausgehen, dass der behinderte Abkömmling durch einen Betreuer vertreten wird und daher die Entscheidung über die Ausschlagung nach §§ 2306 Abs. 1, 2307 BGB nicht vom Behinderten getroffen wird/werden kann. Daher sind die Gestaltungsvarianten sicherlich nicht uneingeschränkt für den lediglich körperlich Behinderten geeignet, der ggf. wider die eigene Vernunft die Ausschlagung der Zuwendung erklärt.
1. Vor- und Nacherbenlösung
Rz. 11
Bei der Gestaltung von Behindertentestamenten hat die Praxis mehrere Modelle entwickelt. Das sog. Vor- und Nacherbenmodell gilt dabei als die klassische Lösung zur Ausgestaltung einer letztwilligen Verfügung bei der Vermögensnachfolgeplanung zum Schutz der Interessen von Menschen mit Behinderung. Wesentliche Elemente der Konstruktion sind die Einsetzung des behinderten Erben als nicht befreiten Vorerben auf Lebenszeit mit einer jedenfalls nicht unter dem Pflichtteil liegenden Erbquote, wobei dritte Personen als Nacherben (zumeist gesunde Geschwister, der Ehegatte oder eine Einrichtung) berufen werden. Kombiniert wird eine Dauertestamentsvollstreckung (§ 2209 BGB) über den Erwerb von Todes wegen des behinderten Vorerben. Dem Testamentsvollstrecker wird testamentarisch ein Regelungskatalog vorgegeben (§ 2216 Abs. 2 BGB), nach dem er dem behinderten Vorerben Leistungen aus dem Nachlass dergestalt zukommen lassen soll, dass Dritten und insbesondere dem Sozialleistungsträger der Zugriff auf den Nachlass verwehrt ist unter gleichzeitiger Beibehaltung staatlicher Leistungen, die der Behinderte bezieht. Ziel der Regelung ist neben einer (Familien-)Bindung des Vermögens über mehrere Generationen hinweg vor allem der Schutz des Vermögens vor dem Zugriff Dritter und eine Absicherung des behinderten Erben über Sozialhilfeniveau.
Rz. 12
Der BGH sieht das Behindertentestament in der klassischen Ausgestaltung als Vor- und Nacherbschaft in Kombination mit einer Dauertestamentsvollstreckung in ständiger Rechtsprechung als nicht sittenwidrig an. Derartige Verfügungen von Todes wegen seien vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus.
a) Rechtliche Gestaltung
aa) Vor- und Nacherbschaft
Rz. 13
Der behinderte Erbe wird im Rahmen des Vor- und Nacherbenmodells zum Mit-/Vorerben (§§ 2100 ff. BGB) auf Lebenszeit eingesetzt. Die Einsetzung erfolgt regelmäßig als nicht befreiter Vorerbe, damit dem Behinderten dann nur die Nutzungen der Erbschaft, nicht aber die Nachlasssubstanz zur eigenen Verwendung zustehen, §§ 2111 Abs. 1 S. 1, 2134 BGB. Die Einsetzung zum Mit-/Erben ist zunächst bereits deshalb wichtig, da im Falle einer Enterbung bei nach § 2303 BGB berechtigten Personen andernfalls Pflichtteilsansprüche entstehen könnten, die gem. § 93 SGB XII auf den Sozialleistungsträger überleitbar wären. Mit der Einsetzung als Vorerbe kann der Erblasser zudem den Vermögensfluss über mehrere Generationen hinweg steuern. Der Nachlass bildet ein vom Eigenvermögen des Vorerben zu trennendes Sondervermögen. Er unterliegt daher beim Tod des Vorerben keiner zufälligen (im Falle einer die Testierfähigkeit ausschließenden geistigen Behinderung gesetzlichen) Erbfolge. Zu Nacherben sind vielmehr die vom Erblasser ausgewählten Personen bestimmt.
Rz. 14
Entscheidend ist, dass der Behinderte mit einer Quote zum Mit-/Vorerben eingesetzt wird, die jedenfalls nicht unterhalb seiner Pflichtteilsquote liegen darf. Auf diese Weise wird ein Zugriff des Sozialleistungsträgers auf den Pflichtteil verhindert. Die Zugriffsmöglichkeit bestünde andernfalls über § 93 Abs. 1 SGB XII. Zwar ist es dem Sozialleistungsträger infolge der Höchstpersönlichkeit und der Rechtsnatur des Ausschlagungsrechts als Gestaltungsrecht verwehrt, den Pflichtteilsanspruch nach § 2306 Abs. 1 BGB selbst zum Entstehen zu bringen. Allerdings besteht in den Fällen einer quotal zu geringen Erbeinsetzung die Gefahr, dass die Ausschlagung durch den gesetzlichen Vertreter des Behinderten geltend gemacht wird. Wird die Ausschlagung durch das Gericht gem. § 1851 Nr. 1 BGB genehmigt, kann der dann entstandene Pflichtteilsanspruch übergeleitet werden. Selbst im Falle einer Annahme der Erbschaft ist die Überleitungsgefahr nicht gebannt. Es entstünde in diesem Fall nämlich ein sog. Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB), der als echter Pflichtteilsanspruch ebenfalls überleitbar wäre, wobei gem. § 2305 S. 2 BGB die den Behinderten an sich schützenden letztwilligen Beschränkungen (Vor- und Nacherbschaft sowie Dauertestamentsvollstreckung) bei der Berechnung des Anspruchs außer Ansatz blieben. Folgt man der Werttheorie, die die h.M. jedenfalls bei anrechnungs- und ausgleichungspflichtigen Vorempfängen (§§ 2315, 231...