I. Vorgerichtliches Verfahren
Rz. 2
Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Sie kann das Verfahren - solange es bei ihr anhängig ist - jederzeit einstellen, § 47 Abs. 1 OWiG.
Rz. 3
Dem Grundsatz, wonach dem Bußgeldverfahren lediglich Erziehungsfunktion zukommt, wird sie nur dann gerecht, wenn sie zuallererst einmal die Frage beantwortet, ob in Ansehung der Täterpersönlichkeit und der Tatumstände überhaupt eine Geldbuße verhängt werden muss. Es gilt vor allem der Opportunitätsgrundsatz (OLG Düsseldorf DAR 1994, 125).
Rz. 4
Im Bußgeldrecht ist § 60 StGB zwar nicht unmittelbar anwendbar, doch kann der dort enthaltene Rechtsgedanke in Fällen eigener Verletzung oder hohen Eigenschadens ein Absehen von der Verhängung eines Bußgeldes nahelegen.
Rz. 5
Schließlich drängt es sich auf, von der Verhängung einer Geldbuße abzusehen, wenn ein Berufskraftfahrer aus Furcht vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes Ordnungswidrigkeiten begeht. Im Extremfall kann eine solche Situation sogar als Notstand i.S.d. § 16 OWiG anerkannt werden (OLG Oldenburg NJW 1978, 1869).
II. Gerichtliches Verfahren
Rz. 6
Gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auch außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren jederzeit einstellen. Ist im Bußgeldbescheid keine höhere Geldbuße als 100 EUR verhängt, kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens, also auch außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren einstellen, wenn die Staatsanwaltschaft erklärt hatte, sie werde an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen (§ 47 Abs. 2 S. 2 OWiG).
Achtung: In der Hauptverhandlung Einstellung auch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft zulässig
Das Zustimmungserfordernis des § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG zur Einstellung bei Bußgeldern von mehr als 100 EUR gilt nur für eine außerhalb der Hauptverhandlung erfolgende Einstellung (LG Berlin DAR 1970, 274).
In der Hauptverhandlung selbst bedarf es gem. § 75 Abs. 2 OWiG jedoch unabhängig von der Bußgeldhöhe keiner Zustimmung der Staatsanwaltschaft, wenn sie an der Hauptverhandlung nicht teilnimmt. In einem solchen Fall wäre selbst ein vorher schriftlich erklärter Widerspruch gegen eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG unbeachtlich (Göhler, § 75 Anm. 8).
Wird das Verfahren eingestellt, kann weder der Einstellungsbeschluss noch die damit verbundene Kostenentscheidung angefochten werden (LG Gera NZV 2003, 436; OLG Dresden NZV 2006, 447). Ebenso wenig kann im Rechtsbeschwerdeverfahren gerügt werden, dass das Verfahren zu Unrecht nicht nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt worden sei (OLG Köln zfs 2006, 590).