A. Erziehungsfunktion
Rz. 1
Das Ordnungswidrigkeitenrecht hat keine Bestrafungs-, sondern Erziehungsfunktion. Dazu grundlegend: BVerfG NJW 1959, 619 und NJW 1969, 1623.
B. Absehen
I. Vorgerichtliches Verfahren
Rz. 2
Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Sie kann das Verfahren - solange es bei ihr anhängig ist - jederzeit einstellen, § 47 Abs. 1 OWiG.
Rz. 3
Dem Grundsatz, wonach dem Bußgeldverfahren lediglich Erziehungsfunktion zukommt, wird sie nur dann gerecht, wenn sie zuallererst einmal die Frage beantwortet, ob in Ansehung der Täterpersönlichkeit und der Tatumstände überhaupt eine Geldbuße verhängt werden muss. Es gilt vor allem der Opportunitätsgrundsatz (OLG Düsseldorf DAR 1994, 125).
Rz. 4
Im Bußgeldrecht ist § 60 StGB zwar nicht unmittelbar anwendbar, doch kann der dort enthaltene Rechtsgedanke in Fällen eigener Verletzung oder hohen Eigenschadens ein Absehen von der Verhängung eines Bußgeldes nahelegen.
Rz. 5
Schließlich drängt es sich auf, von der Verhängung einer Geldbuße abzusehen, wenn ein Berufskraftfahrer aus Furcht vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes Ordnungswidrigkeiten begeht. Im Extremfall kann eine solche Situation sogar als Notstand i.S.d. § 16 OWiG anerkannt werden (OLG Oldenburg NJW 1978, 1869).
II. Gerichtliches Verfahren
Rz. 6
Gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auch außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren jederzeit einstellen. Ist im Bußgeldbescheid keine höhere Geldbuße als 100 EUR verhängt, kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens, also auch außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren einstellen, wenn die Staatsanwaltschaft erklärt hatte, sie werde an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen (§ 47 Abs. 2 S. 2 OWiG).
Achtung: In der Hauptverhandlung Einstellung auch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft zulässig
Das Zustimmungserfordernis des § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG zur Einstellung bei Bußgeldern von mehr als 100 EUR gilt nur für eine außerhalb der Hauptverhandlung erfolgende Einstellung (LG Berlin DAR 1970, 274).
In der Hauptverhandlung selbst bedarf es gem. § 75 Abs. 2 OWiG jedoch unabhängig von der Bußgeldhöhe keiner Zustimmung der Staatsanwaltschaft, wenn sie an der Hauptverhandlung nicht teilnimmt. In einem solchen Fall wäre selbst ein vorher schriftlich erklärter Widerspruch gegen eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG unbeachtlich (Göhler, § 75 Anm. 8).
Wird das Verfahren eingestellt, kann weder der Einstellungsbeschluss noch die damit verbundene Kostenentscheidung angefochten werden (LG Gera NZV 2003, 436; OLG Dresden NZV 2006, 447). Ebenso wenig kann im Rechtsbeschwerdeverfahren gerügt werden, dass das Verfahren zu Unrecht nicht nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt worden sei (OLG Köln zfs 2006, 590).
C. Bemessung der Geldbuße
Rz. 7
Hinweis
Zur Geldstrafenbemessung siehe § 54 Rdn 1 ff.
I. Rahmen
Rz. 8
Da früher § 24 Abs. 2 StVG keinen eigenen Bußgeldrahmen vorgab, waren Geldbußen unter Berücksichtigung des § 1 der VO über Regelsätze für Geldbußen in dem von § 17 OWiG vorgegebenen Rahmen zu bestimmen, d.h. in Höhe von mindestens 5 EUR für fahrlässiges und höchstens 1.000 EUR für vorsätzliches Handeln.
Mit dem im Februar 2009 in Kraft getretenen 4. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes wurde mit dem in § 24 Abs. 2 StVG genannten Höchstbetrag von 2.000 EUR erstmals eine selbstständige Bußgeldobergrenze für Verkehrsordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG eingeführt.
Nach wie vor gilt allerdings, dass dann, wenn das Gesetz für vorsätzliches und fahrlässiges Handeln Geldbuße androht, ohne im Höchstmaß zu unterscheiden (wie dies bei Verkehrsordnungswidrigkeiten regelmäßig der Fall ist), fahrlässiges Handeln höchstens mit der Hälfte der angedrohten Höchstbuße geahndet werden kann (§ 17 Abs. 2 OWiG).
Rz. 9
Grundlagen für die Zumessung der Geldbuße sind in erster Linie die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Grad des Verschuldens. Daneben spielen auch Voreintragungen und, außer bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten, § 17 Abs. 3 OWiG, in bestimmten Fällen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters eine Rolle (OLG Karlsruhe zfs 2001, 477; NZV 2007, 98). Streitig ist allerdings, wo die Geringfügigkeitsgrenze des § 17 Abs. 2 OWiG anzusetzen ist (siehe hierzu Rdn 28).
II. Regelsätze
Rz. 10
Die Regelsätze der nach § 26a StVG als Rechtsverordnung erlassenen Bußgeldkatalogverordnung binden die Verwaltung, nicht aber die Gerichte (Thüringer OLG DAR 2007, 157).
Für die Gerichte stellen sie allerdings Zumessungsregeln dar (BGH NJW 1992, 446), weshalb ein Abweichen immer begründet werden muss (Thüringer OLG zfs 1998, 234; OLG Düsseldorf DAR 2002, 174). Nach wie vor muss das Gericht dennoch immer einzelfallbezogen prüfen und entscheiden (OLG Düsseldorf NZV 2000, 425) und die Regelsätze können selbstverständlich unterschritten werden, so z.B. wenn ein Festhalten an ihnen zu einer für den Betroffenen kaum leistbaren Sanktion führen würde (OLG Karlsruhe NZV 2007, 98).
Rz. 11
Achtung: Katalog für Verstöße gegen Sozialvorschriften
Bei diesem Katalog handelt es sich im Gegensatz zur BKatVO um eine verwaltungsinterne Richtlinie, ...