Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
a) Vereinbarungen
Rz. 17
Eine Vereinbarung i.S.d. Kartellrechts liegt nach ständiger Rspr. schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Die Form, in der der gemeinsame Wille zum Ausdruck gebracht wird, ist nicht relevant. Neben einer ausdrücklichen Zustimmung genügt ein stillschweigendes bzw. konkludentes Verhalten und unter Umständen sogar die widerspruchsfreie Entgegennahme einer Information. Diese sehr weite Auslegung hat Bedeutung bei der Abgrenzung von Vereinbarungen zu rein einseitigen Handlungsweisen. Besonders relevant ist sie z.B. bei der Verwendung von AGB oder bei einseitigen Anweisungen eines Vertragspartners. Der EuGH hat danach unterschieden, ob durch das einseitige Handeln ein gemeinsamer Wille zum Ausdruck gebracht wird oder ob es sich lediglich um einen Ausdruck der einseitigen Politik einer Vertragsseite handelt, die ohne Unterstützung oder ein entsprechendes Verhalten der anderen Seite durchgeführt werden kann.
Beispiel
Unternehmen X sendet seinen Abnehmern systematisch Rechnungen mit dem Aufdruck "Export verboten". Halten sich die Abnehmer an dieses Verbot, kann von stillschweigender Zustimmung ausgegangen werden. In der Praxis ist es daher ratsam, einem solchen Verbot ausdrücklich zu widersprechen.
Rz. 18
Irrelevant ist der rechtliche Status der Vereinbarung; auch das Bewusstsein der fehlenden rechtlichen Bindung ändert nichts an der Bewertung als Vereinbarung (sog. "Gentlemen’s Agreement"). Seit der 7. GWB-Novelle umfasst auch das deutsche Kartellverbot – ebenso wie bereits zuvor das Unionsrecht – vertikale und horizontale Vereinbarungen. Damit sind sowohl Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf gleicher Wirtschaftsstufe als auch Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf verschiedenen Ebenen der Wertschöpfungskette erfasst.
Rz. 19
Wenn ein Unternehmen sich an einer Absprache beteiligt, später aber davon abweicht, ändert dies nichts am Vorliegen einer Vereinbarung. Auch ein Unternehmen, das an Treffen von Unternehmen mit wettbewerbswidrigem Zweck teilnimmt und sich nicht offen vom Inhalt dieser Treffen distanziert, ist als Beteiligter einer Absprache anzusehen.
b) Abgestimmte Verhaltensweisen
Rz. 20
Bei abgestimmten Verhaltensweisen handelt es sich um eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit zwischen ihnen an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt. Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit sind i.S.d. Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrags zu verstehen, wonach jeder Wirtschaftsteilnehmer selbstständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Markt zu betreiben gedenkt. An dieser Selbstständigkeit fehlt es nicht, wenn ein Unternehmen lediglich das Verhalten eines anderen nachahmt, ohne dass das zweite Unternehmen bewusst an der Willensbildung des nachahmenden Unternehmens mitgewirkt hat. Es handelt sich dann um ein zulässiges, autonomes Parallelverhalten. Eine Abstimmung ist folglich in einem solchen Fall zu verneinen.
Rz. 21
In der Behördenpraxis der Kommission spielt insb. die Abgrenzung der abgestimmten Verhaltensweise vom nicht verbotenen bewussten Parallelverhalten im Zusammenhang mit öffentlichen (Preis-)Ankündigungen von Unternehmen (sog. Signalling) eine Rolle. I.d.R. haben diese öffentlichen Mitteilungen Preiserhöhungen zum Gegenstand, die über die Presse, die Internetseiten der Unternehmen oder auf eine andere Art und Weise gegenüber den Kunden angekündigt werden. Die Kommission hat im Jahr 2013 ein Kartellverfahren gegen verschiedene Containerlinienreedereien eingeleitet, weil sie Bedenken hatte, dass die öffentliche Ankündigung von Frachtpreiserhöhungen zu einer Preisabstimmung der Unternehmen führen könnte, und hat das Verfahren erst nach der rechtsverbindlichen Annahme von Verpflichtungszusagen der Unternehmen beendet. Das BKartA wiederum hat die Praxis der Zementindustrie z...