Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
Rz. 201
Die deutsche Fusionskontrolle findet nur auf "Zusammenschlüsse" i.S.v. § 37 GWB Anwendung.
§ 37 GWB unterscheidet vier Zusammenschlusstatbestände:
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Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB – sog. "Vermögenserwerb"), |
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Erwerb der (unmittelbaren oder mittelbaren) Kontrolle über ein anderes Unternehmen durch ein oder mehrere Unternehmen (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB – sog. "Kontrollerwerb"), |
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Erwerb von Stimmrechts- und/oder Kapitalanteilen, der zu einer Beteiligung von insgesamt 25 % bzw. 50 % an einem anderen Unternehmen führt (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB – sog. "Anteilserwerb"), |
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Erwerb eines "wettbewerblich erheblichen Einflusses" auf ein anderes Unternehmen (§ 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB). |
Rz. 202
Allen Zusammenschlusstatbeständen ist gemeinsam, dass sowohl Erwerber als auch Erwerbsobjekt "Unternehmen" im kartellrechtlichen Sinne sein müssen. Die Unternehmenseigenschaft kann insb. bei natürlichen Personen fraglich sein, wenn sie nicht selbst unternehmerisch tätig sind. Gem. § 36 Abs. 3 GWB gelten Personen und Personenvereinigungen aber auch dann als "Unternehmen", wenn sie eine Mehrheitsbeteiligung an einem Unternehmen halten (sog. "Flick-Klausel").
a) Vermögenserwerb
Rz. 203
Der Begriff des "Vermögens" ist umfassend zu verstehen. Er umfasst alle geldwerten Güter eines Unternehmens ohne Rücksicht auf Art, Verwendung oder Verwertbarkeit. Zum Vermögen gehören auch tatsächliche Werte wie Kundenkreis, Goodwill, Betriebsgeheimnisse, Rezepturen oder Absatzorganisation, soweit sie als Gegenstand des Geschäftsverkehrs in Betracht kommen und für sie üblicherweise ein Entgelt bezahlt wird.
Rz. 204
Vermögenserwerb i.S.v. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB ist nur der Vollrechtserwerb. Der Erwerb obligatorischer oder beschränkt dinglicher Rechte (Lizenzen, Pfandrechte etc.) fällt nicht darunter. Der Erwerb solcher Rechte kann aber u.U. als Kontrollerwerb anzusehen sein und den Zusammenschlusstatbestand des § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB erfüllen.
Rz. 205
Die Gründe für den Vermögenserwerb sind für § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB nicht relevant. Auch der Vermögenserwerb von Todes wegen ist Zusammenschluss i.S.v. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB und kann als solcher der deutschen Fusionskontrolle unterliegen.
aa) Erwerb des Vermögens im Ganzen
Rz. 206
Erwerb des Vermögens eines anderen Unternehmens im Ganzen kann z.B. die Übernahme des rechtlich unselbstständigen Unternehmens einer natürlichen oder juristischen Person sein, die als solche nicht notwendig Unternehmen ist. Auch Fälle, in denen der Rechtsträger des erworbenen Unternehmens voll im Erwerber aufgeht, wie z.B. bei der wirtschaftlichen und rechtlichen (Voll-)Fusion, sind als Vermögenserwerb im Ganzen anzusehen. Kein Vermögenserwerb ist der bloße Formwechsel i.S.v. § 190 UmwG, weil sich die Identität der Gesellschaft in diesem Fall nicht ändert.
bb) Erwerb des Vermögens zu einem wesentlichen Teil
Rz. 207
Auch der Erwerb des Vermögens eines Unternehmens "zu einem wesentlichen Teil" ist ein Zusammenschluss.
Rz. 208
Die Wesentlichkeit des Vermögensteils kann sich aus quantitativen wie aus qualitativen Gesichtspunkten ergeben. Sind die erworbenen Vermögenswerte im Verhältnis zum Gesamtvermögen des Veräußerers quantitativ ausreichend hoch, liegt ein Zusammenschluss vor. Ist das nicht der Fall, kann der Vermögensteil trotzdem in qualitativer Hinsicht "wesentlich" sein. Das ist nach der Rspr. der Fall, wenn der erworbene Vermögensteil tragende Grundlage (Substrat) der Stellung des Veräußerers auf dem relevanten Markt und die Übertragung dazu geeignet ist, die Stellung des Erwerbers auf dem Markt spürbar zu stärken. Davon ist insb. dann auszugehen, wenn der Erwerb dazu geeignet ist, die Marktstellung des Veräußerers zumindest teilweise auf den Erwerber zu übertragen.
Das wurde in der Praxis z.B. beim Erwerb von Betriebsstätten, Geschäftsbereichen, Warenzeichen oder Verlags- und Titelrechten von Zeitungen angenommen.
Rz. 209
Umstritten ist, ob allein die Auswirkung des Erwerbs auf die Marktstellung des Erwerbers ausreichen kann, um einen Vermögensteil als "wesentlich" i.S.v. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB zu qualifizieren. Diese Frage kann z.B. in "Outsourcing"-Fällen relevant werden, in denen das übertragene Vermögen nicht die Grundlage der Marktstellung des Veräußerers war, der Erwerb aber durchaus die Marktstellung des Erwerbers beeinflussen kann. Nach Auffassung des Bundeskartellamts kann auch in solchen Fällen ein Vermögenserwerb i.S.v. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB vorliegen.
b) Kontrollerwerb
Rz...